Noch nicht einmal fertig aufgebaut, hatte das Anti-Atom-Camp in Altenholz-Knoop bei Kiel schon erste Konsequenzen: Die „Sheksna“, ein Schiff, welches aus St. Petersburg Richtung Hamburg unterwegs war und radioaktive Fracht geladen hatte, fuhr nicht durch den Nord-Ostsee-Kanal am Camp vorbei, sondern nahm den langen Weg um Dänemark herum. Zu groß war anscheinend die Angst vor möglichen Protesten, sodass lieber ein hunderte Kilometer langer Umweg in Kauf genommen wurde. Das Schiff und die damit verbundene radioaktive Fracht sollten das Camp noch Tage später beschäftigen.
Vom 09. bis 16. August richteten Atomkraftgegnerinnen und -gegner gemeinsam ein Anti-Atom-Camp aus, welches der internationalen Vernetzung, thematischen Weiterbildung und für gemeinsame Aktionen dienen sollte. Für den kulinarischen Teil sorgte die mobile Mitmach-Küche „Le Sabot“, die ausschließlich vegan-biologische Gerichte kreierte. Dankenswerterweise unterstützten auch verschiedene Bio-Bäckereien und Bio-Lebensmittelhersteller das Camp mit großzügigen Spenden.
Der Aufbau der Zelte wurde durch das anfänglich eher regnerische Wetter etwas getrübt, wenngleich im späteren Verlauf oft die Sonne zum Vorschein kam und damit auch viele BesucherInnen brachte.
Diese, unter ihnen erfreulicherweise auch einige AnwohnerInnen, wollten sich einen Eindruck vom Camp-Alltag machen und nahmen zugleich an den zahlreichen Vorträgen und Workshops teil, die alle im weiteren Sinne etwas mit Atomkraft/Energiewende zu tun hatten. So gab es beispielsweise Vorträge zum Freihandelsabkommen TTIP, weltweiten Uranabbau und den damit verbundenen militärischen Konflikten oder Anti-AKW-Widerstand in Indien. Ergänzt wurde das vielfältige Programm durch mehrmaliges Schnupperklettern, Tripod-Bau, verschiedene Buchvorstellungen und diverse Filmbeiträge. Ein Tagesbesuch lohnte sich also in jedem Fall.
Auffällig war das hohe Aufgebot der Polizei, die das Camp rund um die Uhr beobachtete und dafür sogar mehrere Hubschrauber und Boote der Wasserschutzpolizei im Kanal einsetzte.
Gleichzeitig wollten die Aktivistinnen und Aktivisten den geographischen Bezug des Camps nutzen, um auf die Gefahren von Atomkraft und die damit verbundenen Atomtransporte aufmerksam zu machen. Etwa wöchentlich fährt nämlich ein Atomtransport durch den Nord-Ostsee-Kanal und stellt damit eine fahrende potentielle Bedrohung dar. Die Schiffe transportieren die gefährliche, radioaktive Fracht zwischen den Häfen St. Petersburg, Hamburg, Bremen, Antwerpen und dem Rest der Welt hin und her. Start- und Zielpunkte in der Bundesrepublik sind zum Beispiel die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen. Auch nach dem sogenannten Atomausstieg haben diese Anlagen eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Die Transporte werden also weiter fahren.
Die Transportgüter sind das extrem giftige Uranhexafluorid (UF6) und Uranoxide (Zwischenprodukte bei der Brennelementeherstellung für AKW), frisch produzierte Brennelemente und andere Produkte, die für den Betrieb von Atomanlagen notwendig sind. Unfälle, unzureichend gesicherte Transportfracht und ein mangelhafter Katastrophenschutz machen Atomtransporte zu einer ernstzunehmenden Bedrohung. Beispiele für Unfälle in der letzten Zeit gibt es genug: Am 1. Mai 2013 brannte die Atlantic Cartier im Hamburger Hafen. An Bord befand sich eine hochbrisante Gefahrgutmischung: Neben UF6 und Brennelementen hatte das Schiff Ethanol und Munition geladen. Bei den Löscharbeiten gab es zahlreiche Probleme, sodass beispielsweise die Feuerwehr zunächst keine Kenntnis von der gefährlichen Ladung hatte. Nur mit Glück explodierten UF6 und die Munition nicht.
Am Sonntag, dem ersten Aktionstag des Camps, protestierten AktivistInnen zu Land und zu Wasser. Sie spannten Transparente gegen Atomtransporte zwischen den Bäumen, „kontaminierten“ in Strahlenschutzanzügen die komplette Kiel-Linie mit „radioaktiver“ Flüssigkeit und verdeutlichten auch auf dem Wasser mit Paddelbooten und einem Segelboot ihren Widerstand. Inhaltlich wurde die Aktion mit einem Flugblatt über die Gefahren von Atomtransporten, welches an die dortigen Personen verteilt wurde, unterstützt.
Ein paar Tage später besetzten mehrere Personen das Foyer des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umweltschutz und ländliche Räume, welches aufgrund seiner fragwürdigen Haltung gegenüber einem früheren Atomausstieg und dem Stopp von Atomtransporten durch den Nord-Ostsee-Kanal eher als Atomministerium bezeichnet werden müsste. Auch nach großen Worten im Koalitionsvertrag hält Minister Robert Habeck noch nicht einmal die versprochene “maximale Transparenz” ein, was aus Antworten auf mehrere Kleine Anfragen des Landtags von Schleswig-Holstein hervorgeht. Zusätzlich wurden die Forderungen vor dem Gebäude bei einer Kletteraktion durch Transparente mit der Aufschrift “Stopp Atomtransporte” unterstrichen.
Des Weiteren protestierten AtomkraftgegnerInnen mit Flugblättern und einem Segelboot bei der Fähre der Stena Line in Kiel. Die schwedische Reederei Stena Line (bzw. vormals die Scandlines) transportiert seit Jahren auf ihren Personen- und LKW-Fähren regelmäßig Atombrennstoffe und andere radioaktive Fracht der Brennelementefabrik im schwedischen Västerås. Dabei werden die Passagiere nicht über die atomare Fracht auf dem Schiff informiert.
Gleichzeitig wurde die Route der „Sheksna“ die gesamte Zeit über beobachtet. Als weiterer Erfolg kann hierbei verbucht werden, dass das Schiff mehrmals vor dem Hamburger Hafen anhalten musste, weil es aufgrund eines Bombenfundes zu einer logistischen Verzögerung im Hafen kam. Es ist erfreulicherweise davon auszugehen, dass der Umweg um Dänemark und das verzögerte Einlaufen im Hafen zu Mehrkosten für die Reederei führen. Beobachtungen hatten ergeben, dass die „Sheksna“ und auch der südafrikanische Frachter „Green Mountain“ Container mit radioaktiver Fracht geladen hatten, die auf dem Hafengelände der Firma C. Steinweg anschließend entladen wurden. C.Steinweg ist dafür bekannt, Uranerzkonzentrat aus Namibia und Kasachstan kommend umzuschlagen. Die Container waren für den Weitertransport per Schiene nach Frankreich bestimmt. Mindestens 36 Container mit Radioaktivzeichen und der Nummer UN 2912 für Uranerzkonzentrat lagerten auf dem Gelände des Transportunternehmens – vereinzelte Personen vermuteten eine weitaus höhere Anzahl an Containern.
Diese Informationen boten Anlass genug für entsprechende Aktionen: Aus diesem Grund inspizierten Atomkraftgegnerinnen und -gegner das Betriebsgelände der Firma Steinweg, um sich selber davon zu überzeugen, wie und wo die besagten Container gelagert wurden. Die AtomkraftgegnerInnen sind in Strahlenschutzanzügen auf das Firmengelände gegangen und fotografierten die Container mit radioaktivem Material. Sie wollten mit der Aktion verdeutlichen, dass es ein öffentliches Interesse an derartigen Transporten gibt und wie leicht man sich Zugriff zu dieser gefährlichen Fracht verschaffen kann. Das damit verbundene Aufgebot der Polizei und die Aggressivität der Einsatzkräfte waren unverhältnismäßig. Eine Aktivistin, die sichtlich geschockt war, wurde auf sehr rabiate Weise festgenommen (inzwischen wieder frei), ein weiterer Aktivist wurde von einem Polizeihund gebissen. Es zeigte sich ganz eindeutig, dass die Firma C. Steinweg und die auffällig jungen PolizistInnen mit der Aktion sichtlich überfordert waren. Und hier zeigt sich das Problem einmal mehr: Was wird getan, wenn sich Personen ganz einfach Zutritt zum Gelände und den gefährlichen Containern verschaffen, die – wie die AktivistInnen – eben nicht nur symbolisch auf die Gefahren aufmerksam machen möchten?
Zugleich entdeckten Aktivistinnen und Aktivisten vier Container mit Uranerzkonzentrat auf dem Gelände von C. Steinweg, die nach Angaben des Hamburger Senats bereits abtransportiert wurden. Am Montag, den 14.7. wurde ein Transport von Uranerzkonzentrat aus Kasachstan zur Weiterverarbeitung im französischen Narbonne in Hamburg umgeladen. Mehrere Container wurden von der Wasserschutzpolizei beanstandet, vier wurden mit einem Transportverbot belegt, da ihre Zulassung für Gefahrguttransporte (CSC-Plakette) abgelaufen war. Auf Nachfrage führte der Hamburger Senat aus, dass sie noch am gleichen Tag geprüft und freigegeben wurden und schrieb: „Sie wurden mit der Bahn zu dem nächstmöglichen Termin abtransportiert.“
Offensichtlich wurden sie also nicht weiter transportiert, sondern lagerten seit einem Monat im Hamburger Hafen.
Jetzt räumte die Innenbehörde gegenüber dem Hamburger Abendblatt ein, dass die Senatsantwort auf eine Anfrage der Linken falsch war. „Es trifft zu, dass wir leider in der Senatsantwort unzutreffend angegeben haben, die Container würden sich nicht mehr in Hamburg befinden. Da die Container durch die für Containersicherheit zuständige Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) für den Weitertransport freigegeben worden waren, ist man auf Behördenseite davon ausgegangen, dass die Container im Zeitpunkt der Beantwortung der Anfrage tatsächlich auf dem Weg waren“, heißt es in einer Stellungnahme der Innenbehörde von Senator Michael Neumann (SPD).[1] Die Öffentlichkeit wurde also eindeutig getäuscht, wenngleich die Behörde beteuerte, dass damit keinerlei Gefährdung verbunden gewesen sei. Eine äußerst fragwürdige Behauptung, wenn bedacht wird, dass es sich hierbei um radioaktive Fracht handelt.
Zum Abschluss des durchaus gelungenen Camps brachten drei AktivistInnen an der Fassade des Kieler Hauptbahnhofs ein Transparent mit der Aufschrift „Stoppt Atomtransporte durch den Nord-Ostsee-Kanal“ an. Auch die Deutsche Bahn transportiert regelmäßig angereichertes Uran und andere atomare Fracht, sie ist zudem Gesellschafterin beim Atomkraftwerk Neckarwestheim.
Ob und wo im nächsten Jahr ein Anti-Atom-Camp stattfinden wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekannt. Die Forderung muss allerdings weiterhin heißen: Sofortiger Atomausstieg und Beendigung aller Atomtransporte weltweit!
Bildquelle (Bild 1 – 11): Eichhörnchen
Bildquelle (Bild 12 – 18): Pay Numrich/feinfrisch.net
Quellen:
[1] Hamburger Abendblatt – Senat räumt Fehler bei Atomtransport im Hafen ein (17.08.2014 23:29)
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