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Kinderleid für ein bisschen Tabak

Kinderarbeit und schlechte Arbeitsbedingungen sind in der Tabakindustrie leider keine Seltenheit

Für die einen ist es ein Mittel gegen Stress, für die anderen ein Muss in Kombination mit alkoholischen Getränken und manch einer tut es, um Eindruck zu erwecken. Auf diese Weise konsumieren Deutsche täglich rund 237 Millionen versteuerte Zigaretten und zahlen am Tag etwa 40 Millionen Euro in die Bundeskasse. Laut Schätzungen kamen 2009 rund 13,6 Milliarden Euro zusammen. Das sind sehr hohe Werte, wenn man bedenkt, dass nach eigenen Angaben 74 Prozent aller Deutschen Nichtraucher sind. Der Raucheranteil liegt weltweit bei ca. 1 Milliarde Menschen. Erwähnenswert ist ebenfalls, dass davon jährlich rund 140.000 Menschen an den Folgen des Rauchens sterben und ca. 3.400 Menschen pro Jahr durch Passivrauchen umkommen. Vergleichsweise sterben im Jahr 11.000 Menschen bei Verkehrsunfällen.

Die Folgen des Rauchens sind der Mehrheit wohl sehr gut bekannt und sollen an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. Interessanter und wichtiger ist die Frage, woher der Tabak eigentlich stammt, den viele Menschen als Genuss- und Beruhigungsmittel schätzen. Was viele nicht wissen: Wer raucht, schadet nicht nur der eigenen Gesundheit.
Rio Grande do Sul, der südlichste Bundesstaat von Brasilien, ist die wichtigste Tabakanbauregion des Landes. 200.000 Bauernfamilien leben in Brasilien vom Tabakanbau und produzierten 2009 fast 800.000 Tonnen Tabak für die ganze Welt, was das Land zum größten Tabakexporteur der Welt macht. Erik Weber ist einer von diesen Bauern und lebt zusammen mit seiner Familie vom Tabakanbau. Selbst seine 3 jüngsten Kinder helfen auf den Feldern, weil die Arbeit sonst nicht zu bewältigen ist. Bereits in den frühen Morgenstunden beginnen sie, am Nachmittag besuchen die Kinder eine Schule und nach Schulschluss helfen sie dann erneut. Während der Haupterntezeit haben die Kinder schulfrei und müssen dann bei 40 Grad den gesamten Tag helfen, ohne Pausen. Der Tabakanbau ist reine Handarbeit und somit eine enorme körperliche Belastung. So kommt es oft vor, dass die Familie bis spät in die Nacht auf den Feldern schuftet, obwohl sie bereits früh erneut mit der Arbeit beginnt. Es bleibt keine ernsthafte Freizeit und die Kinder entwickeln sich nicht wie gewöhnlich in diesem Alter.

Der Tabakindustrie sind diese Umstände bekannt und doch akzeptiert sie den Einsatz von Kindern, solange diese eine Schule besuchen. Anscheinend ist das möglich, obwohl Kinder und Jugendliche in Brasilien nicht in der Tabakindustrie beschäftigt werden dürfen, da diese viel zu hohen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind. Und tatsächlich sind diese Risiken nicht unerheblich, weil auf den Tabakfeldern mindestens 12 Stunden pro Tag bei knallender Hitze geschuftet wird. Des Weiteren sind die geernteten Tabakblätter sehr giftig, da diese bei Hautkontakt das starke Nervengift Nikotin in den Körper übertragen. Besonders feuchte Blätter sind entsprechend deutlich schädlicher, weshalb gerade schwitzende Arbeiter noch mehr Nikotin aufnehmen. Eine Studie belegt, dass schwitzende Arbeiter, die 4 Stunden lang Tabakblätter ernten, die gleiche Menge Nikotin aufnehmen, als wenn sie 20 Zigaretten geraucht hätten. Diese sogenannte „grüne Tabakkrankheit“ verursacht schlimme Krankheiten, weshalb sich die Bauernfamilien oft über verschiedene Symptome beklagen: Fieber, Erbrechen, Schwindel und Schlaflosigkeit. Tag für Tag, das ganze Jahr.
Um noch wirtschaftlicher arbeiten zu können, setzen viele der Bauern auf giftige Pflanzenschutzmittel, die die Tabakblätter noch größer machen sollen, damit noch mehr Ertrag erzielt werden kann. Zwar schreibt die Tabakindustrie den Bauern vor, dass sie entsprechende Schutzkleidung zu tragen hat und doch wird dieses nie kontrolliert, sondern ist es vielmehr ein freiwilliger Appell an die Bauern. Bei der herrschenden Hitze ist die Kleidung kaum tragbar, sodass oft darauf verzichtet wird. Auch das geht auf Kosten der Gesundheit, was viele Familien und deren Kinder zu spüren bekommen. Deshalb leiden sie nach Jahren an Erkrankungen von Atemwegen und Nervensystemen.

Unter der ständigen Arbeit leiden auch Kinder und Jugendliche, da ihnen oft keine Zeit für sich selbst bleibt. Offensichtlich ist das, weil viele arbeitende Kinder mit Lernschwierigkeiten zu kämpfen haben, die ein Resultat von Erschöpfung und fehlender Zeit sind. Auch die bereits genannten Gifte übertragen sich auf die Körper der Kinder, was oft zu Entwicklungsstörungen führt. Diesen Kindern fehlen verschiedene Reflexe, weshalb Ärzte von einer Schädigung des Nervensystems sprechen.
Darüber hinaus leiden viele Tabakbauern an Depressionen, die ebenfalls durch das Gift hervorgerufen wurden. Ihnen fehlt es an Lebenswillen, viele haben Selbstmordgedanken, wodurch auch die überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate in dieser Region Brasiliens begründet ist. Auch die Kinder von Erik Weber berichten von Brechanfällen und starken Kopfschmerzen.

Die Tabakindustrie weist jegliche Schuld von sich und verweist lediglich auf die Schutzkleidung. Dabei hätten gerade die großen Tabakkonzerne viele Möglichkeiten, um die Situation der Bauern zu verbessern. Kinderarbeit müsste verboten werden und verbesserte Schutzkleidung, die auch bei hohen Temperaturen getragen werden kann, muss verpflichtend eingesetzt werden. Aber selbst diese Kleidung ist keine Garantie für den Schutz der eigenen Gesundheit. Zudem weist die Industrie darauf hin, dass die Bauern nicht zwischen 11 und 13 Uhr arbeiten sollten, weil es dann zu heiß und die Hitze die Ursache für die Kopfschmerzen sei. Eine dreiste Lüge, zumal die Bauern es sich aufgrund der hohen Abgabemengen gar nicht erlauben können, nicht zu arbeiten.
Und das, obwohl das Tabakgeschäft für die Bauern nicht lohnenswert ist, da sie für einen Tabakballen lediglich bis zu 3,50 Euro erhalten. Ein Hungerlohn, wenn man bedenkt, wie viel Arbeit dafür investiert wurde. Eine kleine Schachtel Zigaretten kostet allerdings etwa 5 Euro. Wo steht das im Verhältnis zueinander?

Die größte Tabakeinkaufsfirma Souza Cruz weist ebenfalls jegliche Schuld von sich und beruft sich auf Verträge mit den Bauern, die Kinderarbeit verbieten. Setzt der Tabakbauer dennoch Kinder ein, ist es seine eigene Entscheidung. Das Unternehmen verspricht, sofern man arbeitende Kinder auf den Feldern entdeckt, dass der Vertragsbauer schriftlich verwarnt und bei einem erneutem Verstoß das Vertragsverhältnis für die kommende Ernte unterbrochen wird. Wie oft allerdings solche unabhängigen Kontrollen durchgeführt werden, bleibt weiterhin offen.

Aber nicht nur in Brasilien sind Ausbeutung und Kinderarbeit im Tabakanbau ein Problem, da auch Afrika stark betroffen ist. Laut einer Schätzung der Kinderhilfsorganisation Plan International arbeiten im armen Land Malawi mehr als 78.000 Kinder bis zu 12 Stunden am Tag. Sie sind ebenfalls dem starken Nervengift Nikotin und giftigen Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt, weshalb sie unter den gleichen Symptomen zu leiden haben. Schutzkleidung sucht man auf den afrikanischen Tabakfeldern vergeblich.
In Malawi verdienen rund vier Fünftel der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt direkt oder indirekt in der Tabakindustrie. Plan International erklärte dazu, dass besonders Kinder von der herrschenden Ausbeutung der Tabakindustrie betroffen sind, weil sie umgerechnet weniger als einen Cent (!) pro Stunde verdienen.
Obwohl die dort herrschenden Missstände bekannt sind, haben die Tabakkonzerne bewusst die Produktion im großen Stil von den USA in Entwicklungsländer wie Malawi verlagert. Beispielsweise der Tabakkonzern Phillip Morris bestreitet die Vorfälle nicht und gibt offen zu, dass Tabak aus Malawi bezogen wird, wenngleich man dort keine eigenen Felder unterhalten würde. Das macht die Situation allerdings auch nicht besser.
British American Tabacco machte klar, dass man gegen Kinderarbeit sei und auch direkt keine Kinder beschäftigen würde. Unabhängige Kontrollen auf den Tabakfeldern gibt es aber auch hier nicht, sodass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch der BAT Tabak durch Kinderhände gegangen ist. In Malawi und anderen afrikanischen Entwicklungsländern gehen die Kinder gar nicht zur Schule, sondern müssen sich von Beginn an auf den Tabakanbau konzentrieren. Durch die fehlende Schulbildung und die damit verbundene Armut werden sie wahrscheinlich nie aus dieser Situation entkommen können.

Natürlich – wie soll es auch anders sein bei Produkten aus Kinderarbeit – gibt es hier eine Alternative, die sich bei genauem Hinsehen als Mogelpackung entpuppt. „Organic Yuma“ nennt sich die Marke, die nach eigenen Angaben ausschließlich fair gehandelten Tabak ohne Pestizide und Kinderarbeit einsetzt. Super, dann können wir jetzt ja problemlos weiterrauchen?! – Falsch! Der Tabak ist nicht zertifiziert, weshalb der Verbraucher keine Garantie hat, ob die Angaben tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Draufschreiben können die schließlich viel. Zudem erkranken die Arbeiter weiterhin am Nikotin, weil das auch im Organic Yuma Tabak vorhanden und genauso schädlich wie herkömmlicher Tabak ist.

Auf die Frage, was Erik Webers Kinder später werden möchten, antworten alle einstimmig, dass sie weiterhin ihren Eltern helfen wollen. Sie müssen es auch, denn viele Tabakbauern haben hohe Schulden gegenüber der Tabakindustrie. So sieht eine gute Zukunft von Kindern allerdings nicht aus. Und das alles für ein bisschen Tabak, irgendwie unfassbar.

Bildquelle: By 4028mdk09 (Own work) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

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9 Kommentare

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    Anonym
    9. Oktober 2011 um 22:03

    Quelle?

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    Thorge Ott
    10. Oktober 2011 um 0:20

    Vorweg muss ich sagen, dass meine Artikel immer auf bestimmten Quellen beruhen. Ich möchte dieser Anfrage jetzt nachkommen und habe mich auf folgende Quellen gestützt:
    http://www.youtube.com/watch?v=vdYHd-WQSmc
    http://www.rp-online.de/wirtschaft/news/Kinder-erleiden-massive-Nikotinvergiftung_aid_748822.html
    http://www.rauchfrei.de/raucherstatistik.htm
    http://marco.phrasenkueche.de/2010/04/07/und-es-gibt-ihn-doch-fair-trade-bio-tabak/

    Ich hoffe, dass das die Frage vollständig beantwortet!

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    Anonym
    10. Oktober 2011 um 16:13

    Danke .
    Find sowas immer unglaubwürdig, wenn keine Quellen angegeben sind 🙂

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    S
    12. Oktober 2011 um 18:29

    vielen Dank für diesen Artikel!werde auf jeden fall weiter für deinen bog werben!

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    Anonym
    25. Oktober 2011 um 11:44

    140.000 Im Text klingt es, als wären das die Toten weltweit. Doch sind es nicht eher die Toten in Deutschland? Siehe im Wiki: Insgesamt starben 2008 in Deutschland 43.380 Menschen infolge von Krebserkrankungen, die auf den Konsum von Tabak zurückgeführt werden konnten.[39] Den Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zufolge, ist von jährlich zirka 110.000 bis 140.000 tabakbedingten Todesfällen auszugehen [

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    Anonym
    12. Dezember 2012 um 22:32

    Aus den genannten Quellen geht nicht hervor, dass es sich bei Organic Yuma nicht um zertifizierten Tabak handelt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Unter genanntem Link: http://marco.phrasenkueche.de/2010/04/07/und-es-gibt-ihn-doch-fair-trade-bio-tabak/ befindet sich ein Abbild der Tabakverpackung, auf dem zwei Zertifizierungshinweise zu erkennen sind.

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    Thorge Ott
    15. Dezember 2012 um 23:07

    Hallo,
    vielen Dank für die Information. In der Tat ist mir hierbei ein Fehler unterlaufen, wenngleich selbst fair gehandelter Tabak kein Stück besser ist. Zwar sind dann bessere Löhne gewährleistet, die gesundheitlichen Schäden bleiben dennoch weiterhin.

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    Anonym
    11. Februar 2013 um 11:28

    Der Artikel gibt einen guten Einblick in das Leben der Kinder in anderen Ländern. Ich glaube, dass das genug Gründe sind, mit dem rauchen aufzuhören!!!!

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    Anonym
    6. September 2013 um 18:50

    Guter Artikel aber was man leider dazu sagen muss ist, dass keineswegs von Yuma Organic ausging dass deren Tabak nicht zertifiziert wurde sondern es vielmehr von u.a. Fairtrade Deutschland ausging, dass Tabakunternehmen die sich Mühe geben den richtigen Weg einzuschlagen die Mögichkeit diesen zertifizieren zu lassen komplett genommen wird. So steht wörtlich auf der Seite des deutschen Fairtrade Unternehmens: "Tabak kann weder aus sozialer noch aus gesundheitlicher oder ökologischer Sicht als ethisch vertretbares Produkt bezeichnet werden und kommt deshalb für Fairtrade grundsätzlich nicht in Frage." Einzig das anerkannte Schweizer Institut für Marktökologie (IMO) hat sich dazu bereit erklärt auch Tabakunternehmen zu prüfen (u.a. Yuma). Nach meiner Meinung sollten gerade Fairtrade Unternehmen den Tabakhandel beachten und die wenigen vertretbaren Händler mit einem Siegel auszeichnen.

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