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Weltrettung 2.0

Von zu Hause aus die Welt am Laptop retten - leider ist das zu schön, um wahr zu sein

Hungernde Menschen in Afrika, die Rodung des Regenwaldes, Altersarmut in Deutschland oder Kinderarbeit in Textilfabriken – es sind nur einige Beispiele für all die komplexen und vielseitigen Missstände auf dieser Welt. Viele verlieren da schnell den Überblick und wissen oft gar nicht so wirklich, wie sie gegen diese Probleme ankämpfen können. Demonstrationen sind nicht jedermanns Sache, das eigene Konsumverhalten will man schon gar nicht ändern und wenn überhaupt ist man bereit zu spenden. Meistens gibt man das Geld aber lieber für andere Dinge aus. Ungünstige Lage, denn die Probleme lösen sich nicht von selbst.
Für all jene, die also ihren Hintern nicht hoch bekommen, gibt es eine scheinbare Alternative, die auf den ersten Blick so perfekt wirkt. Sogenannte Charity-Klick-Seiten ermöglichen jedem Nutzer per Mausklick die Welt zu verbessern. Funktioniert das wirklich?

Bei meiner Recherche stoße ich zunächst auf die Seite „Free Rice„, betrieben vom Welternährungsprogramm der UN, die das kostenlose Spenden von Reis an ein Drittweltland ermöglicht. Dafür muss ich lediglich eine simple Frage beantworten und spende automatisch 10 Reiskörner an hungernde Familien in Afrika. Dafür musste ich lediglich meine linke Hand bewegen und konnte nebenbei noch ganz in Ruhe meine Pizza aufessen. Mit wenigen Klicks habe ich 100 Reiskörner gespendet, ohne Aufwand!
Und genau nach diesem Prinzip arbeiten alle Charity-Klick-Seiten: Mit jedem Klick können User Spenden generieren. Das dafür nötige Geld stammt von verschiedenen Privatfirmen, die auf der jeweiligen Seite Werbung schalten können.
Jetzt stellt man sich sicherlich die Frage, was daran schlecht sein soll. Schließlich profitieren davon die Bedürftigen, die Firmen können effektiv Werbung machen und jeder „Charity-Klicker“ wird zum Wohltäter. Doch ganz so toll ist das System nicht.

Ich suche nach weiteren Seiten dieser Art und stoße auf „Thehungersite.com„, die wohl weltweit bekannteste Charity-Klick-Seite. Hier kann ich mühelos gegen Hunger, Analphabetismus, Brustkrebs oder auch für den Regenwald und Tierschutz klicken. Die Seite suggeriert mir, dass ich durch meinen Klick einen enormen Teil zur Lösung der genannten Probleme beigetragen habe. Gleichzeitig wird auch die Dramatik von Hunger oder Brustkrebs deutlich heruntergespielt. Finanziert wird das Projekt, wie gesagt, durch fragwürdige Partnerfirmen.
Wie viele Seiten dieser Art es tatsächlich gibt, kann nicht genau beziffert werden. Hier aber noch einmal ein paar Seiten, die ebenfalls nach diesem merkwürdigen Prinzip arbeiten:

shop2help, charityclick, clicktogive, zock4help, blog2help usw.

Berechtigterweise darf man, trotz fleißigem Klicken, dennoch kein gutes Gewissen haben, weil diese Art von Hilfe ineffizient ist. Ich klicke mich rund eine halbe Stunde durch die ganzen Seiten und versuche mir ein gutes Gefühl zu verschaffen – leider ohne Erfolg. Letztlich habe ich weniger als 20 Cent gespendet, weil die Betreiber der Seiten pro Klick meist weniger als einen müden Cent ausschütten. Schließlich wollen sie auch von der Werbung leben können und die eigene Überzeugung füllt das Portemonnaie eben auch nicht. Zudem ist fraglich, ob mein Aufwand im Vergleich zum Stromverbrauch überhaupt lohnenswert ist.
Nach eigenen Angaben hat die Seite Pro REGENWALD im Zeitraum April 2001 bis 16. Juni 2005 750.176 Klicks erhalten, was umgerechnet 41.624,44 Euro für den Erhalt des Regenwaldes eingebracht hat. Nicht wirklich viel, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um einen Zeitraum von 4 Jahren handelt und ebenfalls unklar ist, ob der komplette Betrag in Schutzprojekte geflossen ist. Es fehlt die nötige Transparenz, was mit dem Geld tatsächlich passiert.
Free Rice beziffert die Spenden in Reiskörnern und Thehungersite gibt diese unter anderem in Bechern an. Eine übliche Masche, weil der Nutzer auf diese Weise niemals wirklich erfahren kann, was tatsächlich an Geld gespendet wird.
Und da all diese Seiten ganz offensichtlich nicht auf die Weltrettung ausgerichtet sind, sondern lediglich viel Geld bringen sollen, führt kein Weg an Werbepartnern vorbei. Diese fungieren als wichtige Geldgeber und sind somit die Träger dieses Charity-Netzwerkes. Es gibt kaum bessere Werbeplattformen, weil bei Charity-Klick-Seiten verschiedene Faktoren zusammen funktionieren: Es gibt eine willige Nutzerschaft, die um jeden Preis „etwas Gutes tun“ möchte und somit auch bewusst Interesse an der eingeblendeten Werbung zeigt. Natürlich in dem Glauben, dass durch Klicks auf die Werbung eventuell auch die Spendengelder steigen. Dem ist natürlich nicht so.
Die Firmen bekommen aber nicht nur unglaubliche Aufmerksamkeit, sondern können sie ihr Image idealerweise gleich mit aufbessern. Man gibt sich also umweltbewusst, sozial und nachhaltig – genau das wünschen sich heute viele Verbraucher. Jeder macht also das Greenwashing der großen Konzerne salonfähig, wenn er bei solchen Charity-Seiten mitmacht.

Eine weitere Form der Charity-Klick-Seiten ist zum Beispiel „Clicks4Charity„, die durch das Konsumverhalten der User Spendengelder generiert. Das Prinzip ist ebenfalls sehr simpel: Der Nutzer besucht Clicks4Charity, sucht dort in der Liste einen Shop aus, in dem er bestellen möchte. Dafür muss der Nutzer nur auf das jeweilige Shoplogo klicken, wird dann auf den Shop weitergeleitet und kann dort bestellen. Für jeden erfolgreich vermittelten Einkauf erhält C4C vom jeweiligen Shop durch ein sogenanntes Partnerprogramm ein bestimmten Prozentsatz vom Bestellwert gutgeschrieben.

Ein Beispiel (die Werte dienen dabei nur der Verdeutlichung des Sachverhaltes.):
Der Nutzer kauft in einem Bekleidungsshop eine Hose für 80 Euro. Für diesen erfolgreich vermittelten Einkauf erhält C4C nun beispielsweise 10 Prozent vom Shopbetreiber zurück, also 8 Euro. Davon bekommt der Nutzer schließlich 2 Prozent gutgeschrieben, demnach 1,60 Euro, die nach freier Wahl an eine Hilfsorganisation gespendet werden können. 6,40 Euro verdient C4C und 1,60 Euro werden für einen guten Zweck verbucht. Sehr wenig, wenn man bedenkt, dass man die Hose für 80 Euro gekauft hat.
Obwohl man also letztlich viel Geld für Produkte ausgeben muss, um eine minimale Spende zu generieren, ist dieses Charity-Modell für viele Nutzer interessant und ansprechend. Unbewusst kaufen wir dann mehr, „der guten Sache wegen“. 3 Prozent auf die nächste Winterreifenbestellung, 5 Prozent für eine Reise mit einem umweltschädlichen Flugzeug oder 7,5 Prozent auf eine Bestellung im Kolibrishop. Verführerisch, weil es so einfach geht und man ohne Aufwand spenden kann. Doch hier entpuppt sich der nächste Widerspruch in diesem System:
Ich kaufe zum Beispiel im Kolibrishop Kleidung von Firmen, die ihre Angestellten ausbeuten, Kinder für sich arbeiten lassen und keine ökologischen Materialien einsetzen. Das generierte Spendengeld kann ich dann beispielsweise an die Welthungerhilfe weitergeben, um so etwas gegen den Hunger in der 3. Welt zu tun. Paradox, oder?
Ich richte durch meinen Kauf von umweltschädlichen und ausbeuterischen Produkten viel Schaden an und versuche durch Spenden dieses wieder auszubügeln. Durch diese Gelder lassen sich die entstandenen Schäden aber kaum wirksam beheben.

Auch an Facebook hat diese Charity-Welle nicht haltgemacht, sodass verschiedene Firmen und Organisationen für ihre Anliegen werben können. Die Diakonie Niedersachsen spendet pro neuem Facebook-Fan 1 Euro an Menschen in Not. Als Nutzer muss man lediglich auf „gefällt mir“ klicken und schon hat man einen ganzen Euro gespendet. Das Geld kommt von Sponsoren, wie immer. United Charity – angeblich Deutschlands größtes sogenanntes Charity-Auktionsportal – hat ebenfalls die Community zum „gefällt mir“-klicken aufgerufen, damit das Projekt 10.000 Fans bekommt. Dafür werden 2.500 Euro an den SOS-Kinderdorf e.V. gespendet, abermals ganz ohne Aufwand. In den Kommentaren feiern sich die Fans für diese Aktion und sehen sich in gewisser Weise schon als die totalen Weltverbesserer.

So ganz ohne Protestmails, politische Diskussionen oder Demos. Geht ja anscheinend auch ohne. Das ist dieser Wohlfühlkonsum, der uns so gut gefällt und viel günstiger als richtige Spenden ist. Und wer ist eigentlich noch bereit, sich zu engagieren, wenn er doch suggeriert bekommt, dass man die Welt vom Laptop aus retten kann?
Bei „spende-ein-essen.de“ kann ich verschiedene Gerichte auf die Tabletts von Kindern ziehen. Sie lächeln dann. Schon schön diese Weltrettung 2.0 …

Bildquelle Artikelbild oben: „From the eyes of a sickly one[Day105]*“ von Chapendra unter der Lizenz CC BY-NC 2.0 via Flickr

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8 Kommentare

  • Kommentieren
    Anonym
    21. Oktober 2011 um 18:59

    Bitte solche abartigen Firmen mit rel="nofollow" verlinken, sonst bekommen die auch noch durch Dich noch einen höheren PageRank Wert und verdienen noch mehr.

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    Peer Spektive
    23. November 2011 um 20:57

    http://Avaaz.org ist wohl eine bessere Idee…
    Da klickt man zwar auch nur aber muss nichts kaufen.

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    Anonym
    19. Januar 2012 um 18:20

    Klasse Artikel! Und nicht nur, dass er wahr und wichtig ist, sondern dein Schreibstil ist auch noch super ansprechend und das Lesen macht richtig Spaß! 🙂

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    Thorge Ott
    20. Januar 2012 um 18:53

    Hallo,
    vielen lieben Dank für den netten Kommentar. Das motiviert zum Weitermachen 🙂

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    Anonym
    30. Dezember 2012 um 21:43

    Wie wahr…
    Sehr gut geschrieben, ich hoffe du kannst damit einigen Menschen die Augen öffnen.
    Finde deinen Blog sowieso sehr interessant, vielen dank dafür!

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    Thorge Ott
    2. Januar 2013 um 11:59

    Hallo,
    vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich sehr, dass dir mein Blog gefällt 🙂

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    Anonym
    3. Februar 2013 um 17:18

    Hallo, bin grade durch ein Forum auf deinen Artikel gestoßen. Ich sehe diese "Charity Klick" Seiten schon immer sehr kritisch, und finde es toll wie wahr du das Ganze hier dargestellt hast! Ich hoffe viele Leute machen dadurch mal die Augen auf, die Welt braucht mehr Leute wie dich 🙂 Bravo!

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    Anonym
    2. April 2013 um 9:40

    TOP Blog! Ich erarbeite gerade fuer unsere Firma ein solches Klick – Konzept, damit KundInnen und PartnerInnen unser CSR Budget mittels solcher Klicks steuern koennen. Statt Gewinnspiel fuer SurferInnen, soll der Gewinn eben in CSR Projekte einfliessen. Die Idee: vorhandenes Budget nicht mit der Giesskanne ueber anonyme ShopperInnen verteilen, sondern in wenige Projekte effektiv einbringen. Danke, dass du Greenwashing und Erbsen- (eingentlich Reiskorn-) -zaehlertum verstaendlich aufdeckst.

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