Es ist ein angenehm milder Samstagmittag und ich befinde mich in der Stadt, in der ich vor ein paar Jahren zur Schule gegangen bin. Da ich noch einige Zeit auf den Bus warten muss, nutze ich die Gelegenheit und schaue mir die Innenstadt genauer an. Nach wenigen hundert Metern laufe ich direkt auf einen Stand von einem sogenannten internationalen Kinderhilfswerk zu, wo ich direkt von einer Fundraiserin überfreundlich empfangen werde.
Sie möchte mir von ihrer Arbeit erzählen und mich über die Wichtigkeit von Spenden für Kinder in Entwicklungsländern überzeugen. Die Tatsache, dass die bezahlten FundraiserInnen in der Regel knallhart Mitgliedschaften/Spendengelder generieren sollen und oftmals nicht einmal Mitglied in der jeweiligen Organisation sind, soll an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden. Dennoch ist es bedenklich, wenn bezahlte Personen für ihr Anliegen in die Öffentlichkeit gehen und werben, obwohl demnach nie alle Gelder wirklich bei den bedürftigen Menschen ankommen.
Benachteiligten Mädchen helfen, Kindern den Schulbesuch ermöglichen, kostenlose Impfungen, Zugang zu sauberem Trinkwasser, vernünftige Mahlzeiten und viele weitere Aspekte sollen durch eine sogenannte Kinderpatenschaft ermöglicht werden. Das klingt zunächst sehr lobenswert, wenngleich es sich bei genauerem Hinsehen lediglich um wirkungslose Almosen handelt. Bereits für weniger als einen Euro am Tag kann man eine Patenschaft für ein notleidendes Kind übernehmen und sich auf diese Weise ein vermeintlich gutes Gewissen erkaufen. Natürlich garantieren derartige Organisationen durch bestimmte Zertifikate, dass sie mit Spendengeldern verantwortungsvoll umgehen und oftmals bekommt man von „seinen“ Patenkindern sogar Post zugeschickt. Es klingt toll, einfach und sehr wirkungsvoll.
Unterm Strich bleibt dennoch festzuhalten, dass es sich hierbei um eine sehr emotionale Form der Spende handelt. Entwicklungsländer brauchen kein Mitleid und diese Form von Zuwendung – sie benötigen echte Chancen!
Verschiedene Hilfsorganisationen wie beispielsweise Terres des Hommes bieten deshalb gar nicht erst Kinderpatenschaften an. Ihr Hauptkritikpunkt: Eine funktionierende und nachhaltige Entwicklungspolitik lässt sich damit nicht realisieren.[1]
Tatsächlich ist eine solche Patenschaft nicht mehr als eine Einzelfallhilfe, die sich nicht mit den Ursachen von Armut und Entwicklungsproblemen auseinandersetzt. Darüber hinaus können Patenschaften zur Isolierung einzelner Kinder führen und Neid erzeugen. Schließlich hilft man damit nur einzelnen Menschen, die ein besseres Leben führen – solange der Geldhahn immer voll aufgedreht ist. Mit sinkenden Spendengeldern kommt schnell die krasse Armut – und damit auch die Realität in den Entwicklungsländern – zu diesen Menschen zurück.
Was bringt es wirklich, wenn meine Spendengelder einem Kind den Schulbesuch ermöglichen? Was bringt es, wenn ich einem Kind sauberes Trinkwasser spendiere? Viel zu wenig und vor allen Dingen langfristig gesehen nicht genug. Schließlich zielen diese Kinderpatenschaften auf unser Gewissen ab, sollen uns zum Spenden animieren und uns zugleich ein gutes Gefühl geben. Es könnte glatt der Eindruck entstehen, dass man mit weniger als einem müden Euro am Tag zum echten Wohltäter werden kann. Dem ist natürlich nicht so: Das Problem hierbei ist, dass die SpenderInnen sich oftmals viel zu stark auf ihrem guten Gefühl ausruhen und dabei das eigene Konsumverhalten und die globalen, politischen Missstände komplett ausklammern.
Selbstverständlich ist es toll, wenn einem Kind der Schulbesuch ermöglicht wird, wenngleich nicht alle bedürftigen Menschen davon profitieren. Während das Kind in der Schule sitzt, müssen die Freunde auf dem Feld unter unwürdigsten Bedingungen die konventionelle, pestizidbelastete Baumwolle pflücken – aus der anschließend – oft ebenfalls von Kinderhand – unsere Billigkleidung hergestellt wird. Gleiches gilt beispielsweise für die Kakaoernte, den Abbau von Bananen und Kaffee oder die gesundheitsgefährdende Entsorgung von Elektroschrott aus den reichen Industrieländern. Am Ende ist vor allen Dingen unser Konsumverhalten mitverantwortlich für diese schlimmen Bedingungen.
Wer den Menschen vor Ort wirklich helfen möchte, muss langfristige Lösungen bieten und sein Konsumverhalten überdenken. Woher stammt mein Kaffee? Wer hat meine Kleidung genäht? Wie viele Schadstoffe, die unmittelbar die ArbeiterInnen bei der Produktion betreffen, stecken in meinem Smartphone? Und was verdienen eigentlich die Menschen auf den Plantagen, von denen die Südfrüchte stammen, die in deutschen Supermarktregalen liegen? Man könnte sich noch etliche weitere Fragen dieser Art stellen und würde zu einem sehr ernüchternden Ergebnis kommen. Wir alle leben quasi auf Kosten der sogenannten Dritten Welt – die einen mehr, die anderen weniger. Man kann beim Einkaufen auf Siegel achten, die einem bessere Arbeitsbedingungen garantieren, die VerkäuferInnen in den Bekleidungsläden mit den Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie konfrontieren und eben allgemein mehr zum Umweltschutz beitragen (weniger Autofahren, zu einem echten Ökostromanbieter wechseln, Reduzierung des Fleischkonsums, …). Schließlich muss stets bedacht werden, dass gerade diese armen Länder den Klimawandel und die damit verbundenen Folgen am stärksten spüren (werden).
Zudem darf hierbei nicht vergessen werden, dass auch die internationale Politik in der Verantwortung ist. Sie muss durch entwicklungspolitische Maßnahmen und Gelder ganz bewusst die Plünderung und Ausbeutung dieser Länder oder ganzer Kontinente verhindern.
Umstritten ist zudem auch, ob überhaupt gezielt einzelnen Kindern geholfen wird. Verschiedene Hilfsorganisationen, die sich gegen Patenschaften dieser Form ausgesprochen haben, bezweifeln, dass das Geld ausschließlich einzelnen Kindern zu Gute kommt und kritisieren das gesamte Vorhaben als ein durch den hohen Verwaltungsaufwand teures Marketinginstrument einzelner Organisationen. Die andere Seite bestreitet diese Vorwürfe: Sie argumentieren, dass die Spendengelder auch der Familie des Kindes und seinem Umfeld helfen würden. Schätzungsweise ein Prozent der BürgerInnen in Deutschland hat eine Kinderpatenschaft übernommen. Allein die vier großen Patenschaftsorganisationen Plan, World Vision, SOS-Kinderdörfer und die Kindernothilfe kommen hierzulande zusammen auf über 500.000 FördermitgliederInnen.[2]
Trotz aller Rechtfertigungsversuche bleibt die Werbung mit den Gesichtern und Geschichten einzelner Kinder unseriös und zweckgebundene Spenden für Einzelpersonen verfehlen die Idee einer nachhaltigen Entwicklungshilfe. Besser hingegen sind Vorhaben, bei denen Menschen ganz unabhängig eigene Projekte auf die Beine stellen und sich eine vernünftige Existenz aufbauen können – Stichwort: Mikrokredit.
Menschen durch zinsfreie Kredite eigene Projekte, mit denen sie sich eine eigene Zukunft aufbauen können, zu ermöglichen, ist dabei der Ansatz von Face. In diesem Zusammenhang ist auch das Projekt Fahrräder für Afrika erwähnenswert, welches den bedürftigen Menschen vor Ort Fahrräder zur Verfügung stellen und mit der neuen Mobilität den Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung, Nahrung und Beschäftigung herstellen möchte. Hilfe zur Selbsthilfe nennt sich dieser Ansatz und hat gewiss einen langfristigeren Effekt als jede Patenschaft.
Als ich die Fundraiserin gerade mit diesen Argumenten und ihrem eigenen Konsumverhalten konfrontieren wollte, drehte sie sich urplötzlich weg und meinte, dass man niemandem seinen Lebensstil vorschreiben könne. Tja, auch dort geht es eben nur um neue Spendengelder und nicht das eigene Gewissen.
Bildquelle Artikelbild oben: „Thoughts“ von Vural Polat unter der Lizenz CC BY-NC 2.0 via Flickr
Quellen:
[1] terre des hommes vermittelt keine Kinderpatenschaften. Warum nicht? – tdh.de (29.09.2014 21:59)
[2] Die Macht der Kulleraugen – Deutschlandfunk.de (30.09.2014 21:54)
1 Kommentar
Simon Schröder
5. Juli 2016 um 9:38"Trotz aller Rechtfertigungsversuche bleibt die Werbung mit den Gesichtern und Geschichten einzelner Kinder unseriös und zweckgebundene Spenden für Einzelpersonen verfehlen die Idee einer nachhaltigen Entwicklungshilfe"
Absolute Zustimmung! Besonders große Organisationen geben zudem viel Geld für Werbung und Provisionen aus. Meines Erachtens hat das alles nicht mehr viel mit Hilfe leisten zutun, sondern mutet bald an wie ein Geschäftsmodell. -_- Ich hatte (wenn der Link nicht gewünscht ist bitte entfernen) dazu auch was geschrieben: http://gadsumo.de/kinderpatenschaft-warum-wir-endlich-etwas-tun-sollten/
Ich hab bei meinem Artikel bewusst jegliche Anbieter weggelassen, damit sich jeder einzelne schlau macht. Das Projekt "Fahrräder für Afrika" ist allerdings genau der richtige Ansatz. Was ich in meinem Artikek nicht geschrieben habe: Meine erste Patenschaft ist bei eine GLS Patenschaft. Die hatten mich damals überzeugt. <3