Seit ich denken kann, habe ich etliche Urlaube mit meiner großen Familie – Mutter, Vater, drei Geschwister – in verschiedenen Ferienhäusern verbracht. Mal war es im Schwarzwald und mal irgendwo in der bayerischen Provinz. Am allermeisten aber in Dänemark. Wir waren hier so oft im Urlaub, dass ich irgendwann aufgehört habe, es zu zählen. Für viele mag das der blanke Albtraum sein und spätestens als Teenager schwört man sich felsenfest „Das mache ich nie wieder!“. Oder man verliebt sich, genau wie ich, in das gute alte Ferienhaus und kehrt auch später hierhin zurück – trotz aller Absurditäten und Schwierigkeiten, die so ein Häuschen zu bieten hat.
Schon als Kind blätterte ich zu gerne in den gedruckten Katalogen namhafter Ferienhausanbieter. Wenn mich meine Eltern fragten, welches Haus ich mir für den nächsten Sommerurlaub vorstellen könnte, schlug ich immer irgendwelche kuriosen Häuser mit einem (von fünf möglichen) Sternen vor. Also das absolute Gegenteil von Komfort. Als Kind faszinierten mich diese Angebote, heute sehe ich das zum Glück anders. Die Bude mit eigenem Spa-Bereich, Staubsaugerroboter und smarter Deckenbeleuchtung muss es aber trotzdem nicht sein. Die gute Wahl liegt – wie so oft – irgendwo dazwischen.
Kataloge sind längst gewichen, Ferienhäuser werden im Internet recherchiert und ausgesucht. Musste man sich damals noch auf wenige Bilder, die kurze Angebotsbeschreibung und das eigene Bauchgefühl verlassen, schaut man sich heute im virtuellen 360° Rundgang die Wohnung noch vor Anreise penibel an und checkt ganz nach dem Amazon-Prinzip die Bewertungen anderer Urlauber:innen. „Es könnte etwas sauberer sein, der Fernsehempfang war ausreichend, die Hunde lieben das graue Sofa und wir haben uns pudelwohl gefühlt. Kommen gerne wieder.“ Unsere Urlaubsplanung hat sich sichtbar verändert.
Was sich nie verändert hat, sind die Ferienhäuser mit ihren kuriosen Eigenheiten – auch wenn heute schon vor der Anreise alles genau bebildert und rezensiert wurde. Und dabei spielt es auch keine Rolle, ob das Häuschen nun in Südfrankreich, der Toskana oder eben in Dänemark steht und in welcher Preisklasse es sich befindet. Regionale und preisliche Unterschiede wird es geben, einige Dinge machen vor den Landesgrenzen und dem eigenen Geldbeutel aber nicht Halt.
Denn scharfe Messer hat wirklich noch niemand von uns dort vorgefunden. Noch bei der Abreise schwören wir uns, beim nächsten Trip welche einzupacken. Tun wir dann aber natürlich doch nicht.
Auch die restliche Küchenausstattung gleicht eher einem wilden „Alles zusammen für 10 Euro!“-Ebay-Konvolut als einer durchdachten Zusammenstellung. Entweder sind die Kochtöpfe viel zu klein oder riesengroß und statt einer normalen Bratpfanne findet man nur eine überdimensionierte Steakpfanne mit Rillen vor. Oder gleich zwei davon. Und natürlich das türkisfarbene Plastik-Nudelsieb, welches vor vielen Jahren als wohlwollender Kauf bei irgendeiner Tupperparty mitgenommen wurde. Die ausgespülten Senfgläser mit den ach so niedlichen Tiermotiven finden im Ferienhäuschen ganz selbstverständlich noch ein zweites Leben. Daheim würde man bei dieser exotischen Komposition, die eher an die Ausstattung der ersten eigenen Studi-Bude erinnert, wohl wenig Gefallen am Kochen finden. Im Ferienhaus sieht man das alles plötzlich viel gelassener und am Ende lässt sich auch damit ein fantastisches Abendessen zaubern.
Ohnehin kommt bei mir, während ich gerade wieder in einem kleinen, feinen dänischen Ferienhäuschen sitze und diesen Text schreibe, der Gedanke auf, ob diese ganze Küchenausstattung nicht sogar Absicht und eben nicht eine Geschmacksverirrung ist. Dass in Hotels Seife, Hausschuhe, Bademäntel und dergleichen geklaut werden, ist für einige Menschen beängstigenderweise ganz selbstverständlich. Haben wir doch schon alle von gehört. Vermutlich wäre das im Ferienhaus ganz ähnlich. Dabei geht es dann weniger um Banden, die einbrechen und ganze Häuser leerräumen, sondern eher um Mieter:innen, die den defekten Mixer daheim einfach durch ein „Urlaubssouvenir“ ersetzen oder die teure Salatschleuder einsacken. Mittelmäßige Küchenutensilien hingegen klaut vermutlich niemand.
Wer den Blick so durch die Küche schweifen lässt, wird in den Regalen ein reichhaltiges Warenangebot finden, das so manch einem Supermarkt Konkurrenz machen könnte: Eine Vielzahl an Gute-Laune-Früchtetees, inzwischen klumpig gewordenes Salz, uralte Kräuter der Provence Gewürzmischung, fünf angebrochene Spülmittelflaschen, abgestandene Olivenöle, steinhartes Hühnerbrühepulver und Backpapier-Reststücke, die nicht ausreichen, um ein Backblech damit vollständig zu bedecken. Alles Überbleibsel vorheriger Bewohner:innen. Ach, wie großzügig. Das kennt man sonst nur von Wohnungsübergaben, wo die Vormieter:innen – natürlich vollkommen selbstlos und aus reiner Nächstenliebe – auch etliche Küchenhilfsmittel, Lebensmittel und Reinigungsutensilien, die aufgrund ihrer Vielzahl eher der Chemikaliensammlung im schulischen Chemieunterricht gleichen, in den Einbauschränken hinterlassen. Sinnvolle Gegenstände wie Ersatz-Staubsaugerbeutel, Kaffeefilter oder Spülmaschinentabs werden in Ferienhäusern aber leider nie zurückgelassen.
Hat eigentlich irgendwer jemals ein sauberes Grillrost auf der Terrasse vorgefunden? Lupft man vorsichtig den Deckel des teuren Weber-Kugelgrills hoch, erblickt man das fettkrustige Rost und kann sich die Vorgeschichte dazu denken. Da klatscht man also liebend gerne sein viel zu billiges Discounter-Nackensteak auch noch mit drauf, um es dann anschließend auch nicht sauber zu machen. Wenn die vor mir schon nicht geputzt haben, muss ich doch schließlich auch nichts machen. Klar, logisch. Also ist eine meiner ersten Beschäftigungen nach der Ankunft, den Grill zu reinigen. Echte Profis bringen gleich ihr eigenes Grillrost mit. Oder einen komplett eigenen Grill.
Nach der Ankunft suche ich jedes Mal wieder vergeblich den Stromzähler und frage mich, was sich hinter all diesen verschlossenen Türen so verbirgt. Nach minutenlangen investigativen Recherchen hat man dann in der hintersten Ecke die nötigen Schlüssel für den Zählerraum gefunden. Meist befindet sich in diesem abgeschlossenen Nebenraum auch eine Kühltruhe. Meine feste Grundregel hierfür: Niemals die Truhe öffnen, es könnte sich schließlich eine Leiche gut konserviert im Inneren befinden. Und damit will ich mir nicht schon am ersten Tag den Urlaub verderben.
Beim Mobiliar wurde ich bisher nur selten enttäuscht und habe mich stets in der neuen Wohnumgebung wohlgefühlt. Und doch mutet es manchmal skurril an, wenn die Besitzer:innen auf dem Sideboard ein paar private Familienfotos zurückgelassen haben. Dass das männliche Familienoberhaupt dabei stolz wie Bolle einen überdimensionierten toten Fisch in die Kamera hält, hätte man ja ahnen können.
Wer zudem noch eine Stereoanlage im Haus hat, bekommt bei der beiliegenden CD-Auswahl direkt noch einen besseren Eindruck der Eigentümer:innen. Schlager- und Fetenhits, irgendwelche generische Chartmucke, die mir rein gar nichts sagt und natürlich sind auch Bernd und Karl-Heinz von den Amigos im CD-Regal vertreten. Bei der Auswahl der bereitgestellten Filme für den DVD-Player wird es nicht viel besser. Auch wenn man da im ersten Moment nur mit dem Kopf schütteln möchte, gehört das irgendwie ganz selbstverständlich zum typischen Ferienhaus-Feeling.
Während ich die Betten beziehe, frage ich mich jedes Mal, wer mit so einem weichen Kopfkissen und auf so einer seltsamen Gummimatratze erholsamen Schlaf finden kann. Eigentlich niemand. Und doch schlafe ich am Ende so gut wie schon lange nicht mehr. Gerade diese leicht paradox anmutenden Erfahrungen machen so ein Ferienhäuschen ja irgendwie auch erst richtig lebens- und liebenswert. Denn am Ende einer solchen Urlaubswoche stellt man immer wieder fest, wie unbeschwert doch alles funktionierte. Nach einem Tag des Fremdelns mit dem eigentlich viel zu teuren neuen Zuhause auf Zeit hat man sich an alles gewöhnt und damit bestens arrangiert. Ein Beweis dafür, dass man am Ende doch flexibler ist, als man es im selbst organisierten Alltag der eigenen vier Wände gewohnt ist. Gut, zugegeben, am Ende sieht das Haus meist nicht, wie beim virtuellen Rundgang noch erhofft, aus und doch macht gerade dieses perfekt Unperfekte den Charme eines solchen Ferienhauses aus. Und das Knistern und Flimmern des Kamins, während man auf dem Sofa gemütlich in eine Decke eingewickelt liegt, trägt zusätzlich dazu bei. Denn dieses hyggelige Kamingefühl bietet nur ein solches Ferienhäuschen.
Noch bei der Abreise trudelt schon die E-Mail des Ferienhausanbieters mit Bitte um Bewertung ein. Man nimmt sich felsenfest vor, im Bewertungstext auf die kleinen Schwächen des Hauses hinzuweisen und mit wohlwollend soliden vier von fünf Sternen zu bewerten. Bei diesem Vorsatz bleibt es dann schließlich. Stattdessen bucht man schon ein Haus fürs nächste Jahr und freut sich insgeheim bereits auf seltsame Küchenutensilien, nette Hinterlassenschaften der Vormieter:innen und selbst das dreckige Grillrost. Gehört halt irgendwie alles dazu. Klingt komisch, ist aber so.
Bildquelle Artikelbild oben: „Beachhut“ von John Nuttall unter der Lizenz CC BY 2.0 via Flickr
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