Wir alle kennen das Bild von der glücklichen Kuh auf einer saftig grünen Wiese mit Alpenpanorama und möchten nur allzu gerne glauben, dass das der Realität entspricht. Wir reden uns ein, dass die Tiere viele Jahre gut gelebt haben und nun artgerecht geschlachtet werden. Auch glauben wir, dass Kühe, Ziegen und Co. die Milch gerne abgeben und auf kleinen bäuerlichen Betrieben noch schonend von Hand gemolken wird (haben wir schließlich schon als Kinder bei Heidi gesehen). Und die Weihnachtsgans schmeckt unserem Gewissen gleich ein ganzes Stück besser, wenn wir vorher ihren Namen kannten. Ansonsten gibt es zum Glück noch wachsweiche staatliche und industrielle Siegel, die vermeintliches Tierwohl versprechen und irgendwie essen ja alle „nur gutes Fleisch vom Metzger nebenan“, während sie das Billigfleisch vom Discounter in den Einkaufswagen legen.
Unsere westliche Industriegesellschaft ist hinreichend darüber aufgeklärt, dass das alles absoluter Selbstbetrug ist, um bloß nicht die eigenen Gewohnheiten radikal hinterfragen und ändern zu müssen. Tiermord, Massentierhaltung, Ferkelkastration, Lebendrupf von Gänsen, die ständige künstliche Befruchtung von Milchkühen und riesige Agrarbetriebe statt kleiner Höfe sind nur ein paar Beispiele dafür, wie weit sich die Realität von unseren Vorstellungen und unserem Gewissen längst entfernt hat. Selbst Lebensmittelskandale rundum tierische Produkte oder die Ausbeutung von Arbeiter:innen bei Konzernen wie Tönnies können uns anscheinend nicht mehr schocken. Klar, der Anteil veganer Lebensmittel nimmt in den Geschäften sichtbar zu und doch steht Deutschland weiterhin Schlange an den Wursttheken der Republik.
Die Hersteller tierischer Lebensmittel geben sich größte Mühe, uns auf Produktverpackungen im Supermarkt weiterhin das Märchen einer heilen Welt zu erzählen. Die glücklich-grasende Kuh auf dem Milchkarton ist wohl das Paradebeispiel dafür, wie weit Marketing und Realität in den Ställen auseinanderdriften. Bei Gesichtsmortadella, Bärchenwurst, Knusperdinos, einer Kuh mit Sonnenbrille, Ferdi Fuchs Mini-Würstchen und Co. müssen vermutlich selbst die überzeugtesten Fleischesser:innen so manches Mal mit dem Kopf schütteln und doch sind die Kühlregale voll davon. Kinder lieben es, Eltern zahlen gerne den überteuerten Preis für ein obendrein ungesundes Produkt. So werden schon die Kleinsten früh auf verniedlichte Weise darauf trainiert, Fleisch und Milch als etwas Selbstverständliches zu betrachten und hinterfragen nicht, woher das eigentlich wirklich stammt.
Nicht ganz überraschend hält sich auch das Klischee der waschechten Männer, die stolz-schwitzend auf dem irre teuren Webergrill die toten Proteine brutzeln. Da kommt es nicht von ungefähr, dass beispielsweise Edeka sogenannte Beefburger unter dem Slogan „Ran an den Grill“ mit einem bärtigen Hipster, der ein „Nordisch by Nature“-Tattoo am Arm trägt, vertreibt. Das soll hip, modern und verdammt männlich wirken. Das sind wahrscheinlich auch die gleichen „echten Männer“, die sich Heringsfilet, welches in schwarzen Konserven als „Katerfrühstück“ vermarktet wird, einverleiben.
Absurd mutet auch das sogenannte Maishähnchen aus Freilandhaltung an, welches mit den Schlagworten „Nature & Respect“ beworben wird. Auf der gleichen Verpackung heißt es weiter: „Grillfertig ohne Hals, ohne Innereien“. Mmmhh, da fühlt man richtig, dass es bei diesem armen toten Tier um „Nature & Respect“ geht. Besser wird es da auch nicht, wenn irgendein Landwirt mit einem Huhn in den Händen abgebildet wird und uns suggeriert werden soll, dass dieser Landwirt sich noch mit vollem Einsatz um seine Tiere „kümmert“ und ihm Tierwohl am Herzen liegt. Letztlich werden die Tiere trotzdem in engen Ställen gehalten, ausgebeutet und getötet – da kann der Landwirt seine Tiere noch so sehr streicheln und beim Namen kennen.
Aber nicht nur bei klassischen Lebensmitteln wie Fleisch, Milch, Käse, Butter und Eiern will uns die Industrie ein komplett verzerrtes Bild eintrichtern, auch bei Süßigkeiten wird beispielsweise Milch als hochwertig und kostbar angepriesen. Schon die lila Milka-Kuh sollte uns stets die Geschichte der edlen Vollmilch aus altertümlichen Milchkannen erzählen. Auf den Verpackungen namhafter Weingummi-Hersteller prangen glücklich dreinschauende Milchkühe oder lachende Bären rutschen auf einem Schwall aus Milch.
Irgendwie erinnert das alles sehr stark an die Tabakwerbung vergangener Jahrzehnte. Der Marlboro-Cowboy versprach uns den „Geschmack von Freiheit und Abenteuer“. Dabei war niemand nach dem Genuss einer solchen Kippe so cool wie ein Cowboy und hat in seiner 1-Zimmer-Plattenbauwohnung selten etwas von Freiheit und Abenteuer erlebt. Andere versprachen einem gute Laune, kostbare Momente und Geselligkeit. Und das HB-Männchen Bruno ließ sich nur mit einer Zigarette beruhigen, wenn er mal wieder an belanglosen Alltagssituationen scheiterte und sich aufregte („Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur HB!“).
Auch hier verschwieg die Werbung ganz bewusst die negativen Folgen des Rauchens. Viel mehr wurden Zigaretten emotional aufgeladen und mit der passenden Geschichte dahinter vermarktet – genau wie wir es auch bei Fleisch, Milch und Co. erleben.
Inzwischen hat die Gesellschaft verstanden, dass Rauchen eben wenig mit Freiheit, Abenteuer und Gelassenheit zu tun hat. Deshalb gibt es immer restriktivere Werbeverbote und auf den Verpackungen wird mit realistischen, abschreckenden Bildern auf die Folgen des Tabakkonsums hingewiesen. Klar, auch hier könnte es noch viel strengere Maßnahmen geben und selbst von den aktuellen Regelungen lassen sich noch genug Raucher:innen nicht abschrecken. Dennoch ist es der richtige Weg und wird sicherlich einige Menschen dazu gebracht haben, den eigenen Zigarettenkonsum zu hinterfragen.
Lasst uns daraus lernen und auch der Tierindustrie mit ihren trügerischen Werbeversprechen ein Ende bereiten: Wenn plötzlich geschlachtete, blutige Tiere, Hühner in Käfighaltung und gerupfte Gänse auf den Verpackungen zu sehen wären, wenn auf die massiven negativen Umwelteinflüsse und das Zuspitzen von weltweiten Hungersnöten sowie die gesundheitlichen Folgen durch den Konsum tierischer Produkte hingewiesen würde, hätte das sicherlich einen Einfluss auf viele Menschen und würde zum Nachdenken anregen. Hier muss die Politik dringend handeln. Aber auch wir haben es tagtäglich in der Hand, was bei uns im Einkaufswagen landet. Wer sich pflanzlich ernährt, setzt ein Zeichen gegen diese Werbelügen und leistet seinen Beitrag für mehr Tier- und Klimaschutz. Damit am Ende wirklich wieder Kühe ihr Leben lang glücklich und zufrieden auf saftig grünen Wiesen grasen können.
Die in diesem Artikel genannten Verpackungen sowie einige weitere Beispiele sind in der oberen Bildergalerie dieses Artikels abgebildet.
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