Eine Bekannte meiner Mutter meinte vor einer Weile zu ihr, als von den eigenen Urlaubsplänen erzählt wurde: „Ihr seid ja auch Deutschland-Urlauber.“ Deutschland-Urlauber? Klingt ganz schön abwertend und war vermutlich auch so gemeint. Wir sind also komisch, weil wir nicht per klimaschädlichem Flug in die Ferne schweifen müssen, um uns zu erholen? Mit so einer Sichtweise ist ihre Bekannte aber gewiss nicht alleine. Schon als Kind habe ich es gehasst, nach den Sommerferien in der Schule von den Lehrer:innen gefragt zu werden, wie ich meinen Sommerurlaub verbracht habe. Mitschüler:innen berichteten stolz davon, wie sie sich auf Mallorca einen fetten Sonnenbrand geholt haben, gefälschte Markenkleidung in der Türkei kofferweise einkauften, auf Kreta bergeweise Souvláki-Spieße vertilgten und in den USA mit einem spritfressenden SUV die Route 66 entlang donnerten. Von den Lehrkräften gab es dafür reichlich Beifall und die Mitschüler:innen würdigten den Urlaubstrip mit lautem Staunen und interessierten Nachfragen. Je weiter weg man verreiste, desto besser und angesehener war das.
Ich hingegen erzählte davon, wie ich mit meinen Eltern und meinen drei Geschwistern vier Wochen Sommerurlaub auf dem Campingplatz im Harz verbracht habe – und dann auch noch Dauercamping. Die gemeinsame Wanderung zur Hanskühnenburg und mein in diesem Urlaub bestandenes silbernes Schwimmabzeichen im benachbarten Hallenbad konnten auch nicht für mehr Eindruck sorgen. Mehr als müdes Augenrollen der gesamten Klasse gab es dafür nicht. Selbst meine damalige Lehrerin fragte meine Eltern besorgt, warum wir nicht mal „richtig“ Urlaub machen – so mit Reisebüro, XXL-Reisekoffer, Flugzeug und einem Ziel in einem fernen Land. Aber warum eigentlich?
Das alles liegt nun schon viele Jahre zurück und in Zeiten von Greta Thunberg und Fridays for Future sollten solche Denkmuster längst antiquiert sein. Gewiss hat hier ein leichtes Umdenken stattgefunden, wenngleich auch unter den jüngeren Menschen das Dilemma Klimaschutz vs. Reisen besteht. Dass ein Flugzeug extrem klimaschädlich ist, wissen wir inzwischen vermutlich wirklich alle. Es ist eindeutig: Verreisen in dieser Form geht gar nicht mehr!
Problematisch bei diesem ganzen Thema ist, dass das Verreisen in ferne Länder mit Weltoffenheit und kultureller Vielfalt assoziiert wird. Wo aber liegt der Mehrwert, wenn ich am Ende die üblichen Touri-Hotspots ablaufe, bei internationalen Restaurantketten, die überall ziemlich ähnlich sind, esse und gar nicht ernsthaft in die eigentliche Kultur der Einheimischen eintauche? Jetzt werden einige empört aufschreien und für sich proklamieren, kulturell alles viel tiefgründiger zu erleben und mit den Locals abzuhängen. Das mag schon sein. Solange wir aber keine umweltfreundlichen Flugzeuge haben, sollten wir einige Reiseziele von unserer Liste streichen. Denn oft sind gerade jene Länder und Inseln stark vom Klimawandel und dessen Folgen betroffen, die wir besonders gerne bereisen. Wurde uns doch hinreichend im Erdkundeunterricht vermittelt.
Aber nicht nur der Langstreckenflug ist ein echter Klimakiller. Mal spontan zum Weihnachtseinkauf nach Paris übers Wochenende mit irgendeiner Billig-Airline können wir uns ebenso wenig erlauben. Das ist nicht nur für die Umwelt mies, sondern auch verdammt dekadent. Wenn wir schon über dekadentes Reisen sprechen, muss ich neben dem Flieger auch immer an Kreuzfahrtschiffe denken. Da sitzen dann Helmut und Monika in ihrer Kabine mit Meerblick und tuckern über die großen Meere von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Einmal im Jahr kann man sich das schon gönnen, denkt sich Helmut und auch Monika überlegt schon während der Fahrt, was sie nach dem Urlaub den Arbeitskolleginnen Sabine und Petra stolz berichten kann. Theater, riesiger Pool, Sex on the Beach satt, heiße durchtrainierte Kellner, das Casino für Helmut und drei Mahlzeiten am Tag – „das müsst ihr einfach mal erlebt haben, Petra und Sabine, ein Gefühl von Luxus und Freiheit.“ Was ich damals in der Schule nach den Sommerferien erlebt habe, ist heute noch ganz selbstverständlich in den Büros der Republik. Urlaub als Statussymbol. Für einen Moment den Neid und die Anerkennung der Kolleg:innen spüren. So eine Kreuzfahrt macht schon Eindruck. Dass Helmut und Monika jedes Mal in ohnehin schon von Touristenhorden überlaufenen Hafenstädten ankern, an irgendeiner peinlich anmutenden Segway-Tour teilnehmen, bergeweise Müll in den Straßen zurücklassen und allgemein mit so einer Kreuzfahrt das 1,5-Grad-Ziel immer unwahrscheinlicher werden lassen, stört sie überhaupt nicht. Getreu dem Motto: Nach uns die Sintflut.
Kreuzfahrtschiffe fahren mit giftigem Schweröl und haben neben Flugzeugen ebenfalls einen desaströsen ökologischen Fußabdruck. Statt also darauf zu hoffen, dass irgendwann mal – in feinster FDP-Manier – eine Innovation für klimafreundlichere Antriebe gefunden wird, muss dringend gehandelt werden. Warum also nicht beim nächsten Mal lieber auf Bus und Bahn umsteigen? Selbst ein Auto dürfte hier in vielen Fällen besser abschneiden.
Ich ahne schon die große Protestwelle all jener, die nun erbost auf die Zuverlässigkeit und Preisgestaltung der Deutschen Bahn schimpfen. Würden bei Flug- und Schiffsreisen die Klimafolgen mit einberechnet werden, hätte sich das Geschäftsmodell irgendwelcher Billig-Airlines von jetzt auf gleich erledigt. Aktuell sind solche Reisen viel zu günstig und es besteht dringender Handlungsbedarf der Politik. Dann stünde auch der Preis für das Zugticket hierzu ganz anders in Relation. Bus und Bahn zudem zuverlässiger und pünktlicher zu machen, ist auch eine machbare Aufgabe. Hier braucht es einen starken politischen Willen und den Druck der Gesellschaft, das schnell umzusetzen.
Zugegeben, dann wäre das Flugzeug immer noch schneller. Von Hamburg nach Barcelona dauert der Flug gerade einmal zweieinhalb Stunden. Das können Bus und Bahn leider nicht bieten. Fast einen gesamten Tag ist man hier mit mehrmaligem Umstieg mit dem Zug unterwegs. Lasst uns das doch als Chance begreifen und den Urlaub schon bei der Anreise beginnen. Die lange Zugfahrt wird so zu einem kleinen Abenteuer. Bewusster und langsamer zu reisen, tut uns und auch dem Klima gut.
All die schönen Ecken hierzulande werden oft als Urlaubsziel verkannt und unterschätzt. Wir reden uns ein, schon alles von Deutschland zu kennen, weshalb wir schließlich in ein anderes fernes Land verreisen müssten. Doch sind wir wirklich schon mal durch den Teutoburger Wald spaziert, haben mit unseren nackten Füßen das Wattenmeer gespürt, wanderten ausgiebig durch den Schwarzwald oder haben eine Kanufahrt in der Mecklenburgischen Seenplatte gemacht? Und wie wäre es mal mit der Besichtigung schöner und zugleich unterschätzter Städte wie Bielefeld, Flensburg oder Wismar? Selbst Geysire gibt es in der Eifel zu bestaunen. Wer Natur, Meer, Kunst und Kultur sucht, muss dafür nicht tausende Kilometer um den Erdball reisen. Deutschland ist vielfältig und hat viele schöne Ecken zu bieten. Und das Beste an der Sache: Hier geht das Reisen auch klimafreundlich.
So ein Deutschland-Urlaub hat dabei nichts mit irgendeiner dümmlichen Deutschtümelei oder plumpem Patriotismus zu tun. Was spricht schließlich dagegen, die schönen Flecken jenes Landes zu entdecken, in dem man selbst lebt? Schon Goethe wusste dazu zu sagen: „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“
Es geht also gar nicht darum, das Reisen komplett einzustellen, sich von anderen Kulturen abzuschotten. Kulturelle Vielfalt und Weltoffenheit sind in einem politisch immer weiter nach rechts driftenden Europa wichtiger denn je. Wir müssen einfach unsere Einstellung und Sichtweise überdenken und neu definieren. In Schweden wird der Begriff „flygskam“ längst gesellschaftlich gelebt. Hierzulande würden wir vom Flugscham sprechen. Gemeint ist dabei, sich für seine getätigten Flugreisen zu schämen, diese im Idealfall künftig zu überdenken und allgemein für ein höheres Umweltbewusstsein einzustehen.
Unsere Gesellschaft braucht angesichts der sich zuspitzenden Klimakatastrophe dringend mehr Flugscham. Schluss damit, Reiseziele wie Thailand, Südafrika oder Neuseeland als das größte Reiseglück zu glorifizieren. Es bleibt zu hoffen, dass die Corona-Pandemie und die damit verbundenen eingeschränkten Reisemöglichkeiten hierbei für etwas Vernunft in der Gesellschaft gesorgt haben. Denn plötzlich war man gezwungen, Urlaub in den europäischen Nachbarländern oder im eigenen Land zu machen. Ging doch auch wunderbar. Letztlich muss es uns als Gesellschaft gelingen, unsere Sichtweisen so zu ändern, dass am Ende jene Schüler:innen den Beifall erhalten, die nicht den krass-teuren klimaschädlichen höher-schneller-weiter-Urlaub erlebt haben. Und wer nach dem Abitur oder Studium eine Weltreise macht (ja, das gibt es leider wirklich), sollte dafür nicht länger mit Anerkennung überschüttet werden. All diese Veränderungen fangen bei uns persönlich an. Lasst uns alle zu „Deutschland-Urlaubern“ werden – aus voller Überzeugung! Unser Planet und all die künftig vom Klimawandel am stärksten betroffenen Menschen werden es uns danken.
Bildquelle Artikelbild oben: „Deutschland“ von Tim Reckmann unter der Lizenz CC BY 2.0 via Flickr
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