Das Meditationszelt der Marke „re:cover“ soll angeblich in Handarbeit mit nachhaltigen Materialien produziert werden und verspricht eine spürbare Steigerung des eigenen Wohlbefindens innerhalb kürzester Zeit. Bildquelle: Screenshot – Onlineshop von re:cover
Achtsamkeit und Self-Care sind in aller Munde: Die Kioskregale sind voll mit Zeitschriften, die sich diesem Thema widmen, zahlreiche Ratgeber wollen uns das Phänomen Hygge, eine dänische Lebensweise für mehr Glück und Wohlbefinden, erklären und auch sonst hat sich die Industrie voll auf einen schon eine ganze Weile andauernden Trend eingestellt. Anti-Stress-Kapseln, CBD-Öle, Therapiedecken, Gelassenheitstee, Yogamatten, Motivationsboxen mit täglichen Gedankenanregungen und Inspirationen, Glücksarmbänder oder das klassische Tagebuch in neuer Aufmachung. Diese Liste könnte noch um zahlreiche weitere Beispiele ergänzt werden. Das eine oder andere Produkt davon kann wirklich helfen, einiges hingegen ist einfach nur überteuert und nicht zwingend wirksam. Das kann im schlimmsten Fall sogar falsche Hoffnungen und Erwartungen wecken – und das eigene Wohlbefinden noch weiter verschlechtern. Denn wo Achtsamkeitsübungen, Selbstreflexion und (vermeintliche) Entspannungsprodukte an ihre Grenzen kommen, sollte zwingend professioneller ärztlicher Rat eingeholt werden.
Dass es diese Produkte überhaupt erst gibt, liegt auch daran, dass sich immer mehr Menschen gestresst und überfordert fühlen – und das auch schon vor der Pandemie mit all ihren Beschränkungen. So kommt die Stressstudie 2021 „Entspann dich, Deutschland!“ der Techniker Krankenkasse zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Menschen hierzulande mindestens manchmal gestresst sind. Jede vierte Person ist sogar häufig gestresst. Demnach ist das Stresserleben seit 2013 kontinuierlich angestiegen. Dabei nimmt Stress nicht nur zu, sondern empfinden die Menschen ihr Leben auch subjektiv als stressiger im Vergleich zu früher. Die Stressverursacher sind nicht überraschend: Arbeit (Termindruck, Informationsüberflutung, Unterbrechungen, schlechte Arbeitsplatzbedingungen), hohe Ansprüche an sich selbst, Konflikte im Privatleben, ständige Erreichbarkeit, Freizeitstress, Stress im Haushalt und bei der Kinderbetreuung, finanzielle Sorgen, Mehrbelastung durch Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger usw. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Stress und gesundheitlichen Problemen.
Umso erfreulicher ist es, dass inzwischen offener und breiter über dieses Thema gesprochen wird. Denn noch immer hat sich das Klischee von Härte, Leistung und Funktionalität – privat wie beruflich – als vermeintliches Gesellschaftsideal in vielen Köpfen eingebrannt. Entstigmatisierung ist also dringend geboten. Dass wir uns mehr mit uns selbst beschäftigen, offen unsere Gefühle kommunizieren, achtsamer, gesünder und bewusster leben, ist also richtig und wichtig. Wenn uns dabei Produkte – wie zuvor schon erwähnt – unterstützen, spricht grundsätzlich nichts dagegen. Problematisch wird es jedoch, wenn der Nutzen nicht hinreichend erwiesen ist und mit dem Leid von Menschen richtig Kasse gemacht wird.
Und genau so ein Produkt wurde mir vor einer Weile bei Instagram vorgeschlagen. „Feeling stressed?“ hieß es in dem Beitrag, mein Interesse war geweckt und ich klickte nichtsahnend drauf. Ich hatte wieder mit den üblichen Produkten, Tipps und Tricks gerechnet, sollte mich dieses Mal aber täuschen: Ein Meditationszelt für die eigenen vier Wände für gerade einmal 2999 Euro wurde mir da angeboten! Versandkosten in Höhe von 4,99 Euro kommen sogar noch on top. Was wie ein schlechter Scherz oder Satire über all die nutzlosen Achtsamkeitsprodukte klingt, ist aber komplett ernst gemeint. „re:cover“ nennt sich die Marke und gehört zum Leipziger Design- und Kunstkollektiv mimikry.
Dabei wird der aktuelle Zeitgeist bedient: Wenn du dich gestresst fühlst, dir alles zu viel wird, die Welt um dich herum immer schneller und ungewisser wird, setze dich einfach in dieses Zelt und dir wird es gleich viel besser gehen. Das bestätigen selbstverständlich auch die Rezensionen angeblicher Kund:innen. So berichtet Robert, dass er das Zelt gerne nach einem stressigen Arbeitstag voller Termine nutzt, um in der Dunkelheit seine Batterien wieder aufzuladen. Anne verspricht, dass wir Dinge sehen werden, die wir mit offenen Augen nie gesehen hätten – was bei einem vollständig dunklen Zelt nun keine so große Überraschung sein dürfte. Und diese vollständige Dunkelheit ist eines der Hauptverkaufsargumente, was Michaela mit ihren Erfahrungen bekräftigen möchte. Schon nach der ersten Benutzung verspürte sie „tiefe Erleichterung und große Ruhe“. Diesen Dunkelheitseffekt wollte sie dann nachstellen, indem sie ihre Wohnung abdunkelte oder eine Schlafmaske verwendete. Aber – oh Wunder – leider gelang es ihr einfach nicht, so die völlige Dunkelheit zu erreichen („Es gibt einfach nichts anderes, das so funktioniert wie dieses Zelt.“).
Nun kenne ich nicht die Wohnung von Michaela, kann aber aus eigener Erfahrung sagen, dass sich mit vernünftigen Jalousien und Rollos ein Raum problemlos vollständig verdunkeln lässt. Und wer das nicht hat, kann es sich für sicher weitaus weniger als 3000 Euro nachrüsten lassen. Als Kind habe ich mir aus Stühlen und Wolldecken eine eigene „dunkle Höhle“ gebaut, um mich dort zurückzuziehen. Das war auch entspannend und sogar komplett kostenlos.
Aber natürlich hat dieses Meditations- und Entspannungszelt noch mehr zu bieten: Es wird vollständig in Handarbeit in Berlin hergestellt und soll aus langlebigen und nachhaltigen Materialien bestehen. Nirgendwo wird genauer definiert, was das konkret heißt. Lediglich der Hinweis auf Kirschholz aus der EU findet sich in der Produktbeschreibung. Auch bleibt unklar, wie genau das angepriesene effiziente Luftzirkulationssystem funktioniert. Es soll genug Platz für ein bis zwei Personen bieten, um darin zu liegen, sitzen oder stehen. Wer es allerdings eilig hat, muss sich leider gedulden – es wird erst nach Bestelleingang produziert. Wie schnell das geht, wird einem nicht verraten. Da kann man sich schon vor Erhalt der Ware in Geduld und Gelassenheit üben.
Und als wäre das nicht alles schon absurd genug, entdecke ich noch die Bewertung von Lukas: „Dieses Zelt hat mein Leben verändert. Nach nur 5 Minuten in völliger Dunkelheit beginnt mein Körper mit einer Tiefenreinigung. Meine Sinne werden extrem scharf, ich fange an zu zittern und stark zu schwitzen. Nach einer Weile umgibt mich eine tiefe Stille, ich entspanne mich und mein Geist und Körper werden ruhig.“
Mit solchen Aussagen könnte er es glatt noch zum Mitarbeiter des Monats bei einem dieser unseriösen Teleshopping-Sender schaffen. Die versprechen einem auch stets eine unglaubliche Wirksamkeit binnen weniger Minuten.
Auf dem Instagram-Profil von re:cover kommt in einem Beitrag Simon zu Wort, der uns erklärt, dass er nach einem 12- bis 16-Stunden-Arbeitstag wirklich Ruhe braucht. Und da sei das Zelt einfach perfekt. Finde den Fehler… vielleicht solltest du einfach mal aufhören, dermaßen viel jeden Tag zu arbeiten, Simon! Dann brauchst du garantiert auch dieses Zelt nicht mehr.
Dieses Zelt wird als der Heilige Gral der Achtsamkeit gepriesen. Es ist der Beweis dafür, wie in feinster kapitalistischer FDP-Manier versucht wird, mit einer vermeintlich guten Geschichte und verheißungsvollen Versprechen ein überteuertes Produkt zu verkaufen, was eigentlich niemand vorher ernsthaft gebraucht hat. Wer sich ein solches Zelt bewusst leisten kann und will, hat irgendwie den Bezug zur Realität verloren. Teure Uhren, fette Autos und Thermomix haben ausgedient, das Meditationszelt wird zum neuen Statussymbol für all jene, die schon alles im Leben haben und doch irgendwie unglücklich sind. Dabei lässt sich auch so in einer (abgedunkelten) Wohnung entspannen und meditieren – ganz ohne Kosten und riesiges Zelt inmitten der eigenen vier Wände.
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