Rechtsextremismus, NS-Devotionalien, Missbrauchsfälle – die Bundeswehr hat ein massives Imageproblem. Und zudem große Nachwuchssorgen. Beim diesjährigen „Tag der Bundeswehr“ am 10.06.2017 präsentierte sich die Bundeswehr unter dem Motto „Willkommen Neugier“ erneut bürgernah und als wichtigen Arbeitgeber und Teil unserer Gesellschaft. Für Skandale interessierte sich anscheinend kaum jemand.
Bereits am frühen Vormittag näherten sich die ersten Besucherinnen und Besucher der im schleswig-holsteinischen Plön gelegenen Marineunteroffizierschule. Nachdem sich die Bundeswehr im Norden in den vergangenen zwei Jahren bereits in der Marineschule Flensburg, im Marinestützpunkt Eckernförde und Fliegerhorst Hohn bei Rendsburg einseitig positiv präsentierte, sollte diese Geschichte in Plön ähnlich verlaufen.
Bereits aus der Ferne waren die direkt vor dem Eingang positionierten Friedensaktivistinnen und -aktivsten zu erkennen. Sie forderten auf Transparenten unter anderem die Abschaffung der Bundeswehr sowie ein Ende sämtlicher Rüstungsexporte. Zudem verteilten sie entsprechende Flugblätter an die vorbeilaufenden Besucherinnen und Besucher.
Kurze Zeit später rollten auch schon die ersten Busse, die aus verschiedenen Regionen die Leute auf das Gelände brachten, an. Auffällig war dabei, dass nicht ansatzweise alle Plätze belegt waren. Und das änderte sich auch zu späterer Zeit nicht. Offensichtlich hielt sich der Andrang in Grenzen, wenngleich die Bundeswehr gleichzeitig an 16 verschiedenen Standorten bundesweit präsent war. Selbst wenn die Bundeswehr am Ende von rund 5500 Menschen in Plön sprach und das als Erfolg zu verkaufen versuchte, ist eine solche Zahl nur nebensächlich.
Der Bundeswehr geht es grundsätzlich um viel mehr: Der Tag der Bundeswehr soll langfristig als gesellschaftlich akzeptiertes Event mit klarem Volksfestcharakter etabliert werden. Damit soll das Militär noch weiter in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden. Gerade in der heutigen Zeit, wo das Militär mit einem massiven Nachwuchsproblem zu kämpfen hat, wird die Werbetrommel fleißig gerührt. Unzählige Millionen fließen schon heute in die Nachwuchswerbung, um an Schulen, bei Jobmessen, im Internet oder eben beim Tag der Bundeswehr junge Menschen mit falschen Versprechungen und vermeintlich guten Arbeitsplätzen für den Dienst an der Waffe zu rekrutieren. Geworben wird dabei gerne mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, individuellen Karrieremöglichkeiten, einer hohen Ausbildungsvergütung, familienfreundlichen Rahmenbedingungen und dem Versprechen sicherer Arbeitsplätze. Besonders auffällig war an diesem Tag die hohe Zahl an Eltern, die mit ihren Kindern die Veranstaltung in Plön besuchten. Es ist in keiner Weise zu rechtfertigen, dass Eltern ihren Kindern derart sorglos die Bundeswehr präsentieren und den teils noch orientierungslosen Kindern und Jugendlichen damit vorgaukeln, das Militär sei ein ganz normaler Arbeitgeber und Teil der Gesellschaft.
Auf dem Gelände der Marineunteroffizierschule gab es neben den obligatorischen Imbissbuden ein umfangreiches Kinderprogramm, verschiedene Tanz- und Musikeinlagen, Beachvollyball, etliche Kriegsmaschinen aus erster Nähe, auf denen auch Kinder herumklettern durften, und verschiedene inszenierte Militäreinsätze wie beispielsweise die „Verwundeten-Versorgung ‚unter Feuer'“.
Dabei war alles total unkritisch: Nirgendwo wurden Auslandseinsätze und deren Folgen für Mensch und Umwelt thematisiert, zu rechtsextremen Umtrieben und Missbrauchsfällen wurde selbstverständlich auch geschwiegen. Das passt schließlich nicht in das ohnehin ramponierte Bild der Bundeswehr und würde einer solchen Veranstaltung auch gleich ein ganz anderes Gesicht verleihen. Es wäre aber zumindest ehrlich.
Auch auf Nachfrage hin wollten die Besucherinnen und Besucher von diesen Skandalen nichts wissen und betonten lieber, wie wichtig militärisches Engagement für „unsere“ Freiheit, Sicherheit und Werte doch sei.
Dabei ist die Bundeswehr eine Armee im Einsatz, die primär für die Absicherung von Handelswegen und geostrategischen Interessen, die mit kriegerischen Interventionen gesichert werden sollen, eingesetzt wird. Der Bau von Schulen und Brunnen in Krisengebieten, die Rettung von Geflüchteten und der weltweite Einsatz für „unsere Sicherheit“ sind fadenscheinige Argumente, die die Bundeswehr abermals als wichtige Instanz und die damit verbundenen Auslandseinsätze legitimieren sollen. In unseren Köpfen soll ankommen, dass die Bundeswehr für den Frieden in der Welt kämpft. Dabei sollte doch hinlänglich bekannt sein, dass Militäreinsätze, bei denen zunehmend auch Drohnen zum Einsatz kommen, stets nur noch mehr Hass und Gegengewalt erzeugen.
Noch immer sorgen kapitalistische und imperialistische Großmächte für mehr und mehr Krieg und Elend in der Welt. Syrien, Irak, Mali, Afghanistan, Jemen oder das Horn von Afrika – die Zahl der militärischen Einsätze ist lang.
Im von den Aktivistinnen und Aktivisten verteilten Flugblatt kritisieren sie, dass der Bundeswehrhaushalt innerhalb eines Jahres von 34 auf nun 37 Milliarden Euro um rund 8 Prozent gestiegen ist. 37 Milliarden Euro entsprechen fast 500 Euro pro Bundesbürger/in.[1] Das Geld wird händeringend für Investitionen in Bildung, medizinische Versorgung, soziale Absicherung, nachhaltige Entwicklung, kulturelle Projekte und eine wirklich funktionierende Entwicklungshilfe benötigt – hierzulande wie auch international. Weltweit sind immer mehr Menschen auf der Flucht vor Hunger, Krieg, Verfolgung (z.B. aufgrund ihrer Sexualität, Nationalität oder ihres Glaubens) oder den Folgen des Klimawandels, während etliche Länder Jahr für Jahr ihre Ausgaben für Militär und Rüstung erhöhen und ein Ende der Rüstungsspirale nicht zu erkennen ist. Kaum auszumalen, wie sich die Situation zuspitzen würde, wenn die NATO-Mitgliedsstaaten das angedachte Zwei-Prozent-Ziel wirklich einhalten.
Dass rechtsextremes Gedankengut und das Glorifizieren von Nationalsozialismus und Wehrmacht innerhalb der Bundeswehr aufgrund von geplanten Kasernendurchsuchungen vollständig aufgeklärt oder gar bekämpft werden kann, ist ein Irrtum. Derartige Durchsuchungen zeigen abermals, dass einem seit Ewigkeiten bekannten Problem nie ausreichend Beachtung geschenkt wurde. Wäre der Fall um den Offizier Franco A., der sich als syrischer Geflüchteter ausgegeben hatte und zusammen mit einem weiteren Bundeswehrsoldaten im Verdacht steht, einen fremdenfeindlichen Anschlag zu begehen, nicht aufgeflogen, wäre es auch nie zu Kasernendurchsuchungen gekommen. Es besteht weder von Seiten der Politik noch von der Bundeswehr ein ernsthaftes Interesse an echter Aufklärung. Dabei sollen mehr als 400 Devotionalien – teils mit eindeutigem Wehrmachtsbezug – gefunden worden sein.[2] Die Dunkelziffer mag viel höher sein, wenn man bedenkt, dass nach Ankündigung der Durchsuchungen möglicherweise etliche Gegenstände weggeschafft wurden.
Dass rechtsextremes Gedankengut innerhalb der Bundeswehr anscheinend doch nicht entschieden bekämpft wird, zeigte sich auch am Tag der Bundeswehr in Plön: Gegen Mittag wurde ein Besucher, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „NAFRI GO HOME“ trug, von einem Friedensaktivisten entsprechend als Neonazi geoutet und lautstark konfrontiert. Dieser reagierte prompt und drohte, den Aktivisten zu verprügeln. Das Sicherheitspersonal der Bundeswehr beobachtete den Fall aus wenigen Metern Entfernung und sah sich zu keinem Zeitpunkt genötigt, einzuschreiten. Bei dem Begriff „Nafri“ handelt es sich um eine interne, rassistische Arbeitsbezeichnung der Polizei NRW für „Nordafrikanischer Intensivtäter“.
Der Neonazi durfte den Eingang der Marineunteroffizierschule durchqueren und wurde bei der Kontrolle am Eingang nicht weggeschickt, obwohl das Sicherheitspersonal der Bundeswehr dem Friedensaktivisten diese Maßnahme zugesagt hatte. Auf Nachfrage hin wurden die Bundeswehrsoldaten sehr ungehalten und aggressiv, zuckten zudem lediglich mit den Schultern und verwiesen auf die Polizei. Diese hatte ebenfalls kein Interesse an einer ernsthaften Überprüfung. Auch die Mitarbeiter der Pressestelle gaben sich auf Nachfrage hin unwissend. Schon seltsam… so sehen gelebte Aufklärung und Engagement der Bundeswehr gegen rechtes Gedankengut eben in der Praxis aus.
Noch schlimmer wurde es, als ein sogenannter Militärseelsorger des Katholischen Militärpfarramtes Plön das Gespräch mit den Aktivistinnen und Aktivisten suchte. Nach wirklichem Dialog sah das allerdings nicht aus: Letztlich brüllte er sich in Rage und betitelte den von der Friedensgruppe aufgestellten Holzsarg unzählige Male als „geschmacklos“ – bis er am Ende sogar Schaum vor dem Mund bekam. Was allerdings an einem Holzsarg, der zum „Probeliegen von angehenden Soldat*innen“ aufgestellt wurde, geschmacklos sein soll, konnte in diesem „Gespräch“ leider nicht geklärt werden. Kriege fordern immer Opfer – Soldatinnen und Soldaten wie auch insbesondere bei der Zivilbevölkerung. Ein solcher Sarg bildet also lediglich die Realität ab.
Des Weiteren meinte er, dass es legitim sei, für das eigene Vaterland zu kämpfen und outete sich gleichzeitig als überzeugten Patrioten. Seiner Auffassung nach hätten noch nie Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten Menschen getötet bzw. ermordet. Hat er etwa zum Beispiel den Luftangriff bei Kundus, bei dem ein Bundeswehr-Oberst eine Bombardierung von zwei Tanklastwagen anordnete, bereits vergessen? Dabei sind rund 100 Menschen, darunter auch Kinder, umgekommen oder verletzt worden.[3]
Es war also eine Menge los beim Tag der Bundeswehr in Plön. Die Aktivistinnen und Aktivisten werden aber gewiss wiederkommen – bis mit perfider Jugendwerbung, volksfestartigen Veranstaltungen und der internationalen Kriegstreiberei Schluss ist. Eine demokratische und global gerechte Weltordnung kann es nur ohne Militär, Rüstungsexporte und imperialistische Großmachtsansprüche herrschender Industrienationen geben. Dafür werden die Friedensaktivistinnen und -aktivisten auch im kommenden Jahr kämpfen, wenn der nächste Tag der Bundeswehr ansteht.
Quellen:
[1] Flugblatt „Mit 500 Euro bist du dabei“, DFG-VK Flensburg, 2017
[2] 400 Militärdevotionalien in Kasernen gefunden – ZeitOnline (11.06.2017 9:30)
[3] Luftangriff bei Kundus – Wikipedia.org (11.06.2017 20:33)
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