Endlich! Darauf haben VerbraucherInnen schon sehnsüchtig gewartet: Strom aus 100 Prozent Atomkraft. So schön klimaschonend, immer verfügbar und zugleich preiswert, verspricht einem die MAXENERGY GmbH aus Augsburg. Dieser Energieversorger hat es sich tatsächlich zum Geschäftsmodell gemacht, ausschließlich Atomstrom zu verkaufen. „Maxatomstrom“ nennt sich das Angebot und wirkt auf den ersten Blick wie eine sehr gut gemachte Satire – leider meinen es die Betreiber damit aber wirklich ernst.
Nachhaltigkeit und Energiewende sind in aller Munde, selbst in konservativen Kreisen will man irgendwann und irgendwie umweltfreundlicher Strom erzeugen und auch die großen Stromkonzerne E.on, RWE, Vattenfall und EnBW haben in den letzten Monaten entschieden über ein Stiftungsmodell nachgedacht, mit dem sie sich von den Altlasten (u.a. Atomkraftwerke) befreien und anschließend jegliche Verantwortung und Folgekosten an den Staat abgeben wollen.[1] Im Bereich der Energieerzeugung ist also jede Menge Bewegung, wenngleich noch lange nicht genug erreicht wurde. Wäre der Druck der Bevölkerung auf Politik und Stromkonzerne stärker, hätten längst größere Veränderungen begonnen – hin zu einem Zeitalter ohne Atomenergie und andere begrenzt verfügbare Energieträger.
Schon lange ist bekannt, dass die Mehrheit der Bevölkerung einen Atomausstieg bis 2016 oder früher möchte. Mit dem Atomausstiegsgesetz der letzten schwarz-gelben Bundesregierung, das unter Zustimmung von Grünen und SPD einen Weiterbetrieb der Reaktoren bis 2022 vorsieht, ist das nicht vereinbar.[2]
Es ist also ungewöhnlich und erstaunlich zugleich, dass sich ein derartiger Stromanbieter in der heutigen Zeit gründet und um ein sehr spezielles Kundenklientel buhlt – Menschen, die ernsthaft glauben, dass mit Atomstrom das Klima geschützt und zugleich eine kostengünstige Stromversorgung gewährleistet werden kann. „Nur gemeinsam können sie den massiven Neubau von Kohlekraftwerken in Deutschland stoppen“, heißt es auf der Internetseite des Versorgers. Wo ist derzeit von einem „massiven Neubau“ in Deutschland die Rede? Dort werden auch mehrere sogenannte „Umweltschützer und Wissenschaftler“ aufgelistet, die „weder an MAXATOMSTROM beteiligt“ seien noch „erhalten sie für ihre Hilfe eine Vergütung“. Auffällig ist dabei auch, dass es sich bei den besagten Personen fast ausschließlich um Männer handelt, die das Rentenalter längst erreicht haben – eine Frau sucht man hier vergeblich. Hm.
Es bleibt anzuzweifeln, ob diese Leute überhaupt von ihrer Nennung wissen und diesen Stromanbieter kennen. Selbst wenn, würde das die Sache nicht besser machen.
Verblüffend ist zunächst, dass der ehemalige Präsident und „Umweltschützer“ von „Greenpeace Canada und International“, Patrick Moore, der als erster in dieser Liste auftaucht, ein überzeugter Atromkraftbefürworter sein soll. Das stimmt allerdings tatsächlich: „Einerseits wollen sie ihre Meiler abschalten, die 25 Prozent des Stroms liefern. Dabei ist das saubere Energie ohne Treibhausgase. Andererseits wollen sie die CO2-Emissionen bis 2020 drastisch senken. Das geht nicht gleichzeitig. Deutschland wird sein CO2-Ziel nur erreichen, wenn es die Atomkraftwerke länger laufen lässt und weitere baut“, behauptete er in einem Interview gegenüber dem Magazin Focus und verglich im gleichen Interview den Recyclingprozess von Atommüll mit dem von Glas und Papier – „Als Umweltschützer bin ich immer für Recycling. Natürlich fällt auch bei der Nutzung von Kernbrennstoff Abfall an. Aber das Meiste kann wieder aufgearbeitet werden.“[3] Fehlende Endlagerstätten, die aufwendige Aufbereitung von atomarem Material, Gefahren beim Transport von radioaktiven Stoffen (Beispiel: Frachterbrand am 01. Mai 2013 im Hamburger Hafen) und alle damit verbundenen, versteckten Kosten, für die nicht die VerursacherInnen, sondern der Staat aufkommen muss? Davon wird natürlich lieber nicht gesprochen. Auch der Energieversorger tut das mit keinem einzigen Satz.
Man könnte die anderen genannten Personen ebenfalls genauer unter die Lupe nehmen und würde feststellen, dass sie allesamt verkappte Befürworter der Atomenergie sind.
Zusätzlich möchte der Versorger potentielle Kunden mit zehn Gründen zum Wechsel motivieren. Dort wird erneut behauptet, dass Atomkraft mit 31 Gramm CO2 klimafreundlich sei und Stein- und Braunkohle die 30-fache Menge ausstoßen würden. „Die Klimabilanz der Kernenergie muss sich auch nicht vor erneuerbaren Energien verstecken: Kernenergie ist zwar nicht so klimafreundlich wie Windenergie, erzeugt aber nur ein Drittel der CO2-Emissionen von Solarstrom“, heißt es ergänzend.
Das klingt zwar erst einmal positiv, ist tatsächlich aber nur die halbe Wahrheit. Im Kleingedruckten lässt sich nämlich lesen, dass der Rückbau der Atomruinen und die Endlagerung des Atommülls in der Berechnung nicht berücksichtigt wurden, was gewiss nicht unerheblich wäre.
Des Weiteren wird versprochen, dass man mit Atomkraft das „Comeback der Kohle stoppen“ könne, was faktisch richtig ist. Dennoch ist es der absolut falsche Weg, eine für Mensch und Umwelt schädliche Energieform durch eine ebenso gefährliche und schädliche Energieform ersetzen zu wollen. Stattdessen hätten längst ein konsequenter Ausbau erneuerbarer Energien und – das ist noch viel wichtiger – strikte Energiesparmaßnahmen (z.B. im privaten Bereich oder staatlich subventionierte durchdachte Gebäudesanierung) erfolgen müssen. Dieses Versäumnis nun durch den Erhalt bestehender Anlagen und den Neubau von Atomkraftwerken ausgleichen zu wollen, ist unverantwortbar gegenüber der Umwelt und nachfolgenden Generationen.
Weiter behauptet der Stromversorger tatsächlich, dass „die Folgen vereinzelter katastrophaler Ereignisse überschätzt“ werden – gemeint sind damit insbesondere Tschernobyl und die Katastrophe in Fukushima. Besonders zu der Katastrophe in Japan hat das Unternehmen eine absolut unmenschliche und verhöhnende Ansicht: „In Fukushima gab es tatsächlich bis dato keinen einzigen Strahlentoten. Zahlen der WHO zeigen, dass die langfristige Erhöhung des Krebsrisikos fast nicht messbar sein wird.“ Das entspricht absolut nicht der Wahrheit. Kazuhiko Kobayashi, Buchautor und anerkannter Kenner dieser nuklearen Katastrophe, macht während seiner Vortragsreisen durch Europa immer wieder deutlich, dass die mit diesem Unglück verbundenen Folgen bis heute nicht absehbar sind und wir damit noch über einen für uns unvorstellbar langen Zeitraum zu tun haben werden. Unzähligen Menschen hat es das Leben gekostet, noch heute können die Kinder in dieser Region nicht draußen spielen (eine Anordnung der japanischen Regierung; die Gefahren insbesondere im Hinblick auf die Strahlung sind zu groß) und weiterhin gibt es keine sicheren Lagerstätten für kontaminierte Materialien (z.B. Kühlwasser, zwingend abzutragende Erdschichten). Das sind natürlich nur Beispiele für die Komplexität der Katastrophe und seiner Folgen.
Außerdem heißt es auf der Internetseite, dass Atomkraft zwingend als Brückentechnologie für die Erneuerbaren benötigt wird – nur so könne man aufgrund bislang fehlender Speichermöglichkeiten Versorgungslücken stopfen. Aber genau das ist der vollkommen falsche Weg: unflexible Grundlastkraftwerke – dazu zählen eben auch Atomkraftwerke – sind dafür nämlich überhaupt nicht geeignet. Vielmehr braucht es schnelle, stark regelbare und flexible Ergänzungskraftwerke auf Basis von beispielsweise Erdgas. Atomkraftwerke lassen sich eben nicht „einfach mal eben“ hoch- und runterfahren.
Zusätzlich propagiert Maxatomstrom das Märchen vom Versorgungsengpass, dem Wegfall unzähliger Arbeitsplätze und steigender Energiekosten. Dabei wird verschwiegen, dass in Deutschland ohne Weiteres gewiss nicht die Lichter ausgehen werden, im Bereich der erneuerbaren Energien noch viel Potential für Arbeitsplätze steckt (ein Arbeitsplatz ist zudem nicht automatisch erhaltenswert, nur weil es ein Arbeitsplatz ist) und Maxatomstrom nicht einmal wirklich preiswert ist.
Erwähnenswert ist hierbei, dass es keinen konstanten Strompreis für das gesamte Bundesgebiet gibt, sondern dieser je nach Wohnort ganz anders ausfallen kann.
Der Vergleich wird besonders dann interessant, wenn man Maxatomstrom mit namhaften Ökostromanbietern, die ausschließlich Ökostrom verkaufen (also keinen konventionellen Tarif zusätzlich anbieten) und konsequent in den Ausbau von Neuanlagen investieren, vergleicht.
Grundlage für die Berechnung sind ein Verbrauch von 1500 kWh (1 Person), 24113 Kiel als Versorgungsgebiet (mein Wohnort) und Tarife mit der kürzesten Kündigungsfrist (bei den Ökostromanbietern gibt es nur einen Tarif, dort ist eine kurze Kündigungsfrist Standard). Angaben gemäß Online-Tarifrechner der einzelnen Versorger.
Fast 20 Euro im Jahr könnte ich also gegenüber dem reinen Atomstrom-Tarif sparen, 100 Prozent Ökostrom beziehen und den Ausbau von Neuanlagen fördern; also doch nicht so preiswert dieser tolle Atomstrom…
Es ist und bleibt also ein Märchen, dass Atomenergie wirklich preiswert ist. Die Kosten für beispielsweise Atomtransporte oder den Betrieb von Endlagerstätten – also Kosten, für die alle SteuerzahlerInnen zwangsweise aufkommen müssen – spiegeln sich im Strompreis nicht wider. Ansonsten wäre der Ökostromtarif vergleichsweise noch günstiger. Auch die anderen Anbieter, bei denen Mehrkosten anfallen würden, sind aufgrund der marginalen Höhe und der Tatsache, dass sie ausschließlich erneuerbaren Strom liefern, ebenfalls gegenüber Maxatomstrom oder anderen konventionellen Energieversorgern vorzuziehen. Natürlich ist mit einem Wechsel zum Ökostromanbieter noch nicht genug getan, immerhin bleiben noch durchzuführende Energiesparmaßnahmen und die Stromversorgung von Gewerbekunden als weitere Baustellen. Nichtsdestotrotz wäre es ein enormes Signal an die (internationale) Politik, wenn plötzlich alle Privathaushalte echten Ökostrom beziehen würden – auch der Ausbau neuer Anlagen würde drastisch vorangehen und Atom- und Kohlekraftwerke überflüssig machen.
„Leisten auch Sie Ihren Beitrag für den Klimaschutz und werden Sie Kunde! Mit unserem Atomstromtarif können Sie Ihren jährlichen CO2-Fußabdruck von durchschnittlich fast zwei Tonnen auf 20 kg senken“, versucht Maxatomstrom seinen KundInnen ein gutes Gewissen einzureden. Es ist allerdings äußerst seltsam, dass ausgerechnet die Betreiber von Maxenergy, Jürgen Schalk und Bernd Neide, sich den Klimaschutz auf die Fahne geschrieben haben. Immerhin waren beide bis Ende 2013 Geschäftsführer der Augsburger Sailer Mineralölhandel GmbH – mit Umweltschutz hat das nicht wirklich viel zu tun.[4] Denkt man abermals an den klimaschädlichen und gesundheitsgefährdenden weltweiten Uranabbau, energieintensive Atomtransporte und Wiederaufbereitungsanlagen sowie die weiterhin ungeklärte Endlagerfrage wird schnell deutlich, dass Atomkraft rein gar nichts mit dem Schutz unseres Klimas gemein hat – ganz im Gegenteil!
Bleibt am Ende nur noch eine Frage zu stellen: Herr Schalk und Herr Neide, was wollen Sie Ihren Kindern oder Enkelkindern später erzählen, wenn diese Sie mit der Tatsache konfrontieren, auf Kosten von Umwelt und nachfolgenden Generationen auf schlimme Art und Weise Geld verdient zu haben?
Bildquelle: maxatomstrom (Startseite), Screenshot
[1] Die ehrliche Stromrechnung – taz.de (14.12.14 15:07)
[2] Acht Argumente gegen die Atompolitik von Angela Merkel und für einen sofortigen Atomausstieg – ausgestrahlt.de (14.12.14 15:45)
[3] „Nicht alles mit Atom ist des Teufels“ – focus.de (14.12.14 16:13)
[4] Der 100-Prozent-Atomstrom-Tarif – taz.de (16.12.14 23:38)
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